Journal - In Diskussionen sollten vor allem sachbezogene Argumente ausgetauscht werden, Moral allein kann Information nicht ersetzen

Warum die Haltung allein nicht genügt

Von 
Thomas Groß
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Eine aufrechte Haltung ist auch im übertragenen, moralischen Sinne besser, als sich zu verkrümmen. Sie sollte aber nicht auf Kosten der Sachlichkeit gehen. © S. Kahnert/dpa

Mannheim. „Mehr Haltung, bitte“, forderte der Filmproduzent Nico Hofmann vor knapp drei Jahren in einer „Mannheimer Rede“ im Nationaltheater. Widersprechen mochte man ihm nicht und möchte es heute ebenso wenig. Eine von persönlicher Haltung getragene Diskussion könne eine Lücke füllen, die gegenwärtig zum Schaden der Demokratie von Populisten gefüllt werde, so Hofmann. Wir bräuchten die Fähigkeit zur Debatte dringend, die auf klarer Haltung aufbaue – die aber auch, so sei hinzugefügt, auf Information und einem stabilen Wissensfundament gründen sollte.

Anderenfalls droht der aufgeklärte Standpunkt nicht viel besser auszusehen als der populistische: Hier wie dort Pauschalisierungen, die zur Inhaltsleere tendieren und den Mainstream der jeweiligen politischen Richtung unterstreichen. Der Standpunkt an sich mag richtig sein, lässt sich aber mit faktenbasierten Argumenten besser vertreten und kann so auch zunächst Andersdenkende oder Mitmenschen ohne klare Meinung überzeugen. Debatte baut auf Argumentation und Gedankenaustausch auf. Die schlechte Alternative sind unvermittelte Gegnerschaften, ein Lieber-unter-sich-Bleiben, wie es die Filterblasen der Sozialen Netzwerke bestätigen.

Beispiele gefällig? Die Unisono-Kritik von Kulturschaffenden an der Frankfurter Buchmesse, die einen rechtsgerichteten Verlag zuließ, fällt einem ein. Die dort präsentierten Titel mögen anstößig wirken, aber solange der Verfassungsschutz nicht einschreitet, gehören sie ins demokratische Schema. Und die Messe wollte mit gutem Grund nicht als Zensor auftreten. Als weiteres Beispiel mag ein oft geäußerter Rassismus-Verdacht dienen, der sich vor allem an Europa und die USA richtet, hingegen Entsprechendes in Afrika, der arabischen Welt oder Ostasien weniger oft anspricht. Oder die Warnung vor „Islamophobie“: Falls diese tatsächlich droht – muss deshalb unerwähnt bleiben, dass sich mit der Religion an (zu) vielen Orten Antisemitismus und die Unterdrückung von Frauen verbinden und der politische Islam ohnedies bedenkliche Begleiterscheinungen hat? Wer darauf verweist, will nicht unbedingt von eigener Verantwortung ablenken, macht sich aber jedenfalls um ein Gesamtbild und differenzierte Meinungsbildung verdient.

In diesem Kontext sei ein wenig Nabelschau erlaubt: Ein Journalismus bleibt gefragt, der sich nicht leichtfertig pauschaler Kritik aussetzt, nur linksliberaler Mainstream zu sein, weil er durch Fakten und abgewogene Argumente besticht. Zunftvertreter, die äußern, die eigene Profession bedürfe weniger der Vermittlung von Sachverhalten als des Bekenntnisses einer klaren Haltung, wirken fragwürdig; sie wollen kein Sowohl-als-Auch, sondern Priorisierung. Dabei muss man nicht verschweigen, dass sich in dem hier vorgetragenen Argument wohl auch ein Generationenkonflikt spiegelt. Der Autor ist 57 und meint vor allem bei deutlich jüngeren Kolleginnen und Kollegen oft eine unglückliche Tendenz vorzufinden: Meinungsstärke gilt als Selbstzweck; wenn der Informationsgehalt des Beitrags per se nicht überzeugt, wird (ersatzweise) die klare Haltung vorgetragen, wofür auch die nun öfter gebrauchte Ich-Form ein Beleg sein mag.

Der eigene Standpunkt ist zu überdenken, wenn es ein erweiterter Wissensstand nahelegt – und wenn die überprüfbaren Informationen dafür von der anderen Seite stammen, ist ihnen dennoch nicht ablehnend zu begegnen. Auch aus konservativer, gar rechtskonservativer Perspektive kann stichhaltig argumentiert werden. Dass das Wort „rechtskonservativ“ selbst ungebräuchlich geworden ist, lässt wohl allein schon tief blicken. Nur pauschal von „rechts“ zu reden, ist kein Ausweis von Differenzierung. Es belegt entsprechend keinen guten Sinn für Debatten. Gewiss, man muss nicht alles verstehen, um es dann stehen zu lassen und zu akzeptieren. Es gilt vielmehr, es nachzuvollziehen, um von daher zu beurteilen, welche guten oder schlechten Konsequenzen es für unser Zusammenleben und die politische Gemeinschaft hat.

Vielfalt, die viel beschworene Diversität, ist zunächst nur die Beschreibung einer Lage. Begrüßen, gar feiern muss man sie nicht, akzeptieren freilich schon. Aber der wiederkehrende Einwand, es müsse auch ein stabiler verbindender Rahmen als ein Element der Einheitlichkeit existieren, bleibt berechtigt. Einen fraglos anzuerkennenden Wert an sich stellt Vielfalt in gesellschaftlicher Hinsicht nicht dar.

Anders sieht es in Hinsicht auf vernünftige Debatten aus. Dass Theodor W. Adorno, prominenter Vertreter der marxistisch inspirierten Frankfurter Schule, unter seinen Gegnern in gesellschaftlichen Diskussionen ausgerechnet den konservativen Arnold Gehlen schätzte, auf den sich „Rechtsintellektuelle“ noch heute berufen, ist kein Zufall. Die zwei eminent Gebildeten wussten das geistige Niveaus ihres Gegenübers zu würdigen. Als Vorbild taugt das auch mehr als ein halbes Jahrhundert später noch – besonders dann, wenn man die Vorzüge guter Allgemeinbildung daraus liest.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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