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Heimat bleibt eine erstrebenswerte Größe

Von 
Thomas Groß
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Das kann auch ein Stück Heimat sein oder dafür stehen: Kühe auf einer Wiese im südlichen Odenwald, bei Beerfelden. © Roland Holschneider/dpa/Picture Alliance

„Heimat – Kreis Eigenheim“: Gestaltet in der Art eines Ortsschildes, schwarze Schrift auf gelbem Grund, stehen die Worte auf der Fußmatte eines Nachbarn. Die Aussage ist deutlich genug, obwohl der Begriff der Heimat nicht notwendigerweise mit Eigentum verbunden werden muss. Aber etwas Übergreifendes, in dem man sich geborgen und zuhause fühlt, meint er durchaus.

Heute wirkt er seltsam aus der Zeit gefallen, er wird wohl eher von Menschen bemüht, denen forsch Fortschrittliche leichtfertig vorwerfen, von gestern zu sein. Einen gewissen Vergangenheitscharakter hat er schon deshalb, weil er meist mit Kindheit und persönlichen Ursprüngen verbunden wird. Gleichwohl taugt er für den Philosophen Ernst Bloch zur Charakterisierung einer menschenwürdigen Zukunft, wie ein vielzitierter Satz aus seinem „Prinzip Hoffnung“ zeigt: Hat sich der Mensch, so Bloch, „erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“ Also wäre das Heimischwerden ein überzeitliches Anliegen, und der Heimat-Begriff bleibt aktuell.

Das bestätigt auch der Titel des neuen Buchs des Philosophen Wilhelm Schmid: „Heimat finden“ heißt es und handelt ausführlich und mit eigenen Erlebnissen gespickt „Vom Leben in einer ungewissen Welt“, wie der Untertitel erläutert. Erst recht in einer von Unsicherheit geprägten Gegenwart wie der unseren bleibt Heimat mithin wichtig.

Heimat ist hier keine nostalgische Idee, kein Instrument politischer Abschottung, sondern meint einen Raum zur Selbstverständigung und kulturellen Identitätsbildung. Das lässt sich auch filmhistorisch illustrieren. Es geht dann nicht um Idyllen und Redlichkeit feiernde Heimatfilme, wie sie aus den 1950er Jahren bekannt sind, sondern um eine Reflexion im Sinne des autobiografisch grundierten, historischen und persönlichen Veränderungen nachspürenden „Heimat“-Zyklus von Edgar Reitz, der eine verständige Zustimmung der Zuschauer anstrebt.

In teils glänzend formulierten Essays handelt Schmid Möglichkeiten ab, durch die sich heute Heimatgefühle ergeben können. Aufgerufen werden innige Beziehungen zu anderen, zur Natur, zu Kunst und Kultur, zum ländlichen wie städtischen Leben; dazu kommen noch das Reisen, die eigene Fantasie, „Utopie und Transzendenz“, wobei letzteres auch politisch-ideologische und religiöse Identitäten umfasst. Vor- und Nachteile dieser Analyse liegen auf der Hand: Einerseits wird sich jeder darin wiederfinden, weil die Punkte je anders gewichtet werden können. Andererseits lässt sich einwenden, dass selbst die Summe der Charakteristika nicht ausschließen dürfte, sich zuweilen heimatlos und verloren in der Gegenwart zu fühlen.

Schmids Konzept einer philosophischen Lebenskunst drückt sich auch hier aus: Er gibt Empfehlungen, wie sich eine reflektierte individuelle Zufriedenheit erzielen lässt, immer im Bewusstsein der konkreten Umstände. Dass diese als unzureichend empfunden werden können, versteht sich. Der „modernen Dynamik“, wirtschaftlichen Erfordernissen und so fort kann man sich nun mal schwer entziehen.

Schmid erwähnt auch die Sprache als heimatliches Identifikationsmerkmal. Wenn viele sich heute wegen Anglizismen oder Sprachregelungen im Deutschen zunehmend fremd fühlen, spricht das für sich und markiert ein Problem – ganz abgesehen davon, dass Verfolgte, internationale Armuts- oder europäische, nordamerikanische oder ostasiatische Migranten des gehobenen Arbeitsmarkts sich in ihrer neuen „Heimat“ kaum mehr oder ganz anders sprachlich aufgehoben fühlen als gewohnt.

Schmid charakterisiert seinen Ansatz bildlich. Was er als Aspekte nennt, sei ein „Basislager“, von dem aus man wie ein Bergsteiger „Erkundungen ins Ungewisse“ unternehmen könne. Um im Bild zu bleiben: Ob das gelingt, hängt auch davon ab, ob man mit zu leichtem Gepäck unterwegs ist oder sich mit zu viel Ballast beschwert. Wirkt in diesem Sinne auch ein traditionelles Heimatbedürfnis heute vor allem schwer und überladen? Bloch mag noch überzeugen, wenn man in seinem Sinne Heimat mit menschenwürdigen, nicht entfremdeten Lebensverhältnissen gleichsetzt.

Dann wäre sie eben nicht das Angestammte, das Fremdes fernhält. Sie wäre auf Zukunft gerichtet, als Zielpunkt ehrlichen Bemühens um Verständigung, und das ebenso mit Zeitgenossen, denen man sich schnell nahe fühlt, wie mit anderen, die zunächst fremd erscheinen. Überfordern sollte man keinen. Um sich angenommen und angekommen zu fühlen, muss man nicht gleich mit allen gut befreundet sein.

Auch im Falle der Heimat geht es um einen vernünftigen Ausgleich zwischen Individuellem und Allgemeinem. Dieses Verhältnis ist zumal in ungewissen Zeiten immer wieder neu zu bestimmen. Und das kann auch in größerem Debattenrahmen erfolgen. Warum bislang alle Versuche, über eine „Leitkultur“ zu diskutieren, zurückgewiesen und von forsch Fortschrittlichen in die rechte Ecke gestellt wurden, ließe sich in diesem Kontext auch noch einmal fragen. Denn wie und wo sich Heimat empfinden lässt, hängt davon ab, womit man sich verbunden fühlt.

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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