Usedom macht auf

Eine Insel auf dem Weg zurück zur Normalität: Das beliebte Reiseziel lockt in Zeiten von Corona vor allem mit Aktivitäten an der frischen Luft und den Vorteilen eines privaten Strandkorbs.

Von 
Barbara Schaefer
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Romantischer als die Costa de la Luz: Strand von Usedom © Barbara Schaefer

Knapp 20 Prozent der Hoteliers hier steht das Wasser bis zum Hals“, sagt ein Usedomer, der lieber nicht genannt werden möchte. Wenn jemand investiert habe und nun Kredite abbezahlen muss – und dann drei Monate der Saison ausfallen, das sei kaum zu stemmen.

Usedom

  • Anreise Mit dem Zug ab Stuttgart über Würzburg, Hamburg, Rostock, Stralsund, Züssow. Mit dem Auto auf der A 9 über Nürnberg, Leipzig, Berlin nach Bansin, etwa 9 Stunden.
  • Unterkunft Designhotel in historischen Mauern: Hotel Atlantic in Bansin, DZ/F ab 200 Euro. Vier-Sterne-Haus mit Wellnessbereich – mit Infinity-Pool: Hotel Das Ahlbeck in Ahlbeck, DZ/F ab 210 Euro.
  • Schlichtes, freundlich geführtes Haus: Hotel Nordkap in Karlshagen, DZ/F ab 70 Euro.
  • Essen und Trinken Karlshagen: Düne 74. Moderne Fischküche in schickem Design-Ambiente. Koserower Salzhütte: In denkmalgeschützten Fischerbutzen gibt es Fisch, fangfrisch oder vor Ort geräuchert. Urig.
  • Was Sie tun sollten Unbedingt mal eine kleine oder auch größere Radtour unternehmen, am besten bei: Radverleih Usedom-Rad.

Allgemeine Informationen https://usedom.de

Zwei Monate war Usedom nicht mehr das, was es seit Jahrzehnten, auch zu DDR-Zeiten, gewesen war: ein beliebtes Ferienziel der Deutschen. Ende Mai ging es nun wieder los. „Möchten Sie Zimmerservice?“, fragt die Rezeptionistin im Hotel Atlantic in Bansin. Sie steht hinter einer Plexiglasscheibe, der Gast trägt Mundschutz. Sie reicht den Meldeschein und dazu einen Kugelschreiber – den könne man behalten.

10 000 Stück haben die Seetel-Hotels bestellt, ein hygienisch unbedenkliches Werbegeschenk, weil sie nicht weitergereicht werden. Betten machen und durchfeudeln, das gibt es nur auf Wunsch, sonst betritt nur der Gast das Zimmer während seines Aufenthaltes.

Im Zimmer gibt es keine Prospekte, keine Fernsehzeitschrift, keine Deko-Kissen. Statt Gläsern stehen einzeln verpackte Plastikbecher bereit, die Bademäntel sind in Plastiktüten eingepackt, die Fernbedienung steckt in Plastik, mit einem Siegel darauf.

„Wir haben immer die Fernbedienung nach der Abreise desinfiziert, der Gast hat es nur nicht gesehen“, sagt Rolf Seelige-Steinhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Seetel-Hotels. Das Familienunternehmen betreibt 16 Häuser und ist mit gut 450 Angestellten der größte Arbeitgeber der Insel. Nun wollen sie stärker zeigen, wie sie die Auflagen umsetzen.

Wie zigtausend andere Gastronomen und Hoteliers auch kämpften sie ums Überleben, sagt Seelige-Steinhoff. Die Hotelgruppe habe „weit über eine Million Personalkosten im Monat“ und baue gerade sieben Häuser um mit 34,2 Millionen Euro Investitionsvolumen in zwei Jahren. So viel Liquidität sammle niemand an. Die fast drei Monate machten ein Fünftel des Jahresumsatzes aus – und nun dürfen die Hotelbetten nur zu 60 Prozent gefüllt werden. Pfingsten sei im Voraus super gebucht gewesen, um die 80 Prozent, und dann mussten sie Gästen absagen. Und ja: Einige Betriebe auf Usedom würden das nicht überleben, sagt Seelige-Steinhoff. Denn auch wenn der Deutschlandtourismus jetzt boome, nütze das der Insel kaum, weil der Sommer ohnehin immer gut gebucht sei. „Voller als voll geht nicht.“

Für Urlauber stellt der erste Strandspaziergang so etwas wie die ersten Schritte in Freiheit dar. Es fühle sich an, als sei man lange bettlägerig gewesen und traue sich nun das erste Mal wieder hinaus. In Heringsdorf kurbeln die Idens ihren Strandkorbverleih an, Traktoren bringen die Körbe. Normalerweise gehe es an Ostern los, der Monat fehle ihnen.

Einen besseren Platz als einen Strandkorb kann es gerade kaum geben. „Wir lüften stetig“, sagt Natascha Iden. Natürlich müsse desinfiziert werden, „wir hoffen, das Material hält das gut aus“. Seit 20 Jahren verleihen sie Strandkörbe, und sie servieren im Winter Glühwein am Strand, beteiligen sich am „Grand Schlemm“, einer kulinarischen Wanderung. „Es darf nicht langweilig werden“, sagt Andreas Iden, „wir wollen immer wieder das eigene Tun hinterfragen, das machen wir jetzt auch.“ So überlegen sie, mit dem Sternekoch Tom Wickboldt Catering im Strandkorb anzubieten.

Wickboldt und seine Partnerin Manja Wulf spazieren vorbei. Wickboldt hat den ersten Michelinstern für die Insel geholt, nun wird er ein eigenes Lokal aufmachen. „Frühestens im August“, sagt er. Essen habe mit Genuss zu tun, und jetzt, das sei doch ein beklemmendes Gefühl, da warte er lieber ab – und entwickelt in der Zwischenzeit eben neue Ideen. Die Menschen wollten nun lieber draußen sein, Open Air sei angesagt. Im sandigen Wind will er keine feinteilige Gourmetküche präsentieren, aber es gehe um Geschmack, um gute Produkte. Und um neue Ideen, um gestärkt aus der Krise rauszugehen.

Andreas Iden sagt: „Man kann die Zeit jetzt mit Jammern oder Verzweifeln verbringen oder überdenken, was man so macht. Aber Jammern ist das Schlimmste.“ Unlängst habe ihn eine Vermieterin von 15 Ferienwohnungen angesprochen, als sei sie fast am Verhungern. „Wenn jemand nach einem Monat Ausfall zu weinen anfängt, also dann hat man auch irgendwas falsch gemacht“, sagt Iden.

Zu jeder Jahreszeit lohnt sich eine Radtour, etwa mit Usedom-Rad. 2000 Räder stehen an 140 Stationen. Man leiht ein quietschgelbes Rad übers Mobiltelefon, an einer beliebig anderen Station lässt man es stehen. Das System startete 2009 mit Fördergeldern des Bundeswettbewerbs „Innovative öffentliche Fahrradverleihsysteme – Neue Mobilität in Städten“. In einem der wenigen geöffneten Cafés in Bansin erklärt Geschäftsführer Axel Bellinger, auch die Einheimischen nutzten die Räder, „wenn sie mal den Bus verpasst haben“. Gäste würden damit lange Strecken fahren. Wichtig für ihn waren die Werbeeinnahmen, die Räder sind fahrende Litfaßsäulen für lokale Betriebe. Nun befürchtet Bellinger, dass denen das Geld fehlen könnte für Werbemaßnahmen. „85 Prozent der Menschen auf Usedom leben vom Tourismus“, sagt Rolf Seelige-Steinhoff von den Seetel-Hotels.

Auch Bäckereien und Bauunternehmer, Einzelhändler und Installateure. Man müsse mit dem Coronavirus leben, sagt Seelige-Steinhoff. Im Atlantic weisen sie die Gäste ein und auf die Mundschutz-Verordnung hin, und man hält Abstand. Und falls doch jemand das Virus einschleppen sollte? Wenn es den Gästen gut geht, könne man darüber nachdenken, so der Hotelier, „dass sie 14 Tage die Quarantäne hier machen“. Frühstück gibt es dann auf dem Zimmer.

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