Schon wieder eine dieser Cocktailbars", stöhnt Claudio. Seit vielen Jahren wohnt der Architekt nahe der Kastanienallee und beobachtet, dass sich in der Gegend Lounges mit immer derselben kitschigen Dekoration breitmachen. Sind sie nicht untrügliches Zeichen dafür, dass sich die Straße zur Touristenmeile entwickelt? Ein klarer Fall von Gentrifizierung?
BERLIN
Unterkunft Hotel Oderberger im ehemaligen Stadtbad, Oderberger Str. 57, Tel. 030 / 7 80 08 97 60, www.hotel-oderberger.de, DZ ab 135 Euro. Die Schwimmhalle hat an 5 Tagen in der Woche geöffnet (genaue Öffnungszeiten im Internet). Eintritt: 6 Euro. Solide: Hotel Kastanienhof, Kastanienallee 65, Tel. 030 / 44 33 50, www.kastanienhof.biz, DZ ab 105 Euro.
Sehenswert Eine weit über Berlin hinaus bekannte Institution ist der sonntägliche Flohmarkt am Mauerpark, Bernauer Str. 63-64, immer 11 bis 18 Uhr. Weitere Infos: Touristinformation TIC in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36, und auf der kostenlosen App Going local von visit Berlin: app.visitBerlin.de.
Von der ist in letzter Zeit immer wieder im Zusammenhang mit dem Ortsteil Prenzlauer Berg die Rede. Einst Viertel der Bohemiens und Querdenker, die 1989 zur friedlichen Revolution beigetragen haben, wurde es zum Sehnsuchtsort der Neu-Berliner. Wo ehemals der Putz von den Fassaden bröckelte, etablierte sich eine junge Kunst-, Musik- und Gastronomieszene. Die Gegend ist schicker, teilweise aber auch wieder spießiger und teurer geworden, so dass weniger Betuchte verdrängt werden. Das gilt auch für die Kastanienallee, die Szenemeile par excellence. Ist ihr Charme gänzlich dahin?
Tatsächlich kann, wer sich Zeit zum Flanieren nimmt oder ab und zu einen Blick in die Hinterhöfe und Seitenstraßen wirft, nicht nur originelle Vintagemode und Design made in Berlin entdecken, sondern ein bizarres Geflecht aus jungen Labels, uralten Institutionen, nicht-kommerziellen Galerien und Kiezinitiativen, die in Deutschland Seltenheitswert haben.
Hier und da gibt es noch den traditionellen Zeitungskiosk, die Bäckerei oder die Apotheke. Daneben haben sich unzählige Läden und Trendlokale angesiedelt, die eine neue urbane Klientel ansprechen. So international wie das Publikum sind die Namen der Lokale: Café Fleury, La Castagna, Burger World, Fleur de Sel. Immerhin lassen sich zwischen den Flagship-Stores von Modelabeln wie Thatchers, Fräulein Stachelbeere oder Parapluie auch Geschäfte wie Upcycling Deluxe ausmachen, das nachhaltiges Design von der Fußmatte bis zur Pilotenmütze anbietet. Oder das VEBorange, das mit quietschbunten Plaste-Eierbechern, FDJ-Plakaten oder Campingstühlen aus DDR-Zeiten das Herz jedes Ostalgikers höherschlagen lässt.
Kurioser ist nur noch die Mischung aus alten Klamotten, hochwertigem Trödel und ausgefallenen Designer-Unikaten, die sonntags auf dem nahe gelegenen Flohmarkt am Mauerpark zu finden ist. Hier stöbern Berliner und Berlin-Besucher einträchtig nach Schnäppchen.
Viele Generationen haben hier schwimmen gelernt
Auch für Claudio gehört der Mauerpark bei schönem Wetter zum sonntäglichen Pflichtprogramm. Auf dem Rückweg kommt er an der Kiezkantine vorbei, wo er sich wochentags oft den günstigen Mittagstisch schmecken lässt - frisch zubereitet von psychisch kranken Menschen. Danach führt sein Weg noch an so manchen anderen Institutionen vorbei, die die Gentrifizierungswelle überlebt haben, etwa am Prater-Garten, Berlins ältestem Biergarten. Schräg gegenüber hat eine schicke Buchhandlung mit Café und Spielecke für Kinder eröffnet. Aber neben der können auch einige alte bestehen. Unter anderem der "Buchladen zur schwankenden Weltkugel", der sich mit seinem Büchersortiment zu Politik, Psychologie und Philosophie auch als "Drehscheibe für Flugblätter, Plakate und Bustickets zur nächsten Demo" versteht. Wer hier fündig geworden ist, lässt sich gern im angeschlossenen Café Morgenrot zu einem fair gehandelten Latte nieder. An der Fassade warnen große Lettern: "Kapitalismus normiert, zerstört, tötet."
Es finden sich auch Beispiele dafür, dass bereits totgeglaubte Institutionen zu neuem Leben erwachen. Wie das Stadtbad Oderberger Straße, ein einzigartiges Architektur-Juwel der Neo-Renaissance. Jahrelang ging Claudio an ihm vorbei und fragte sich, wann es wohl endgültig zerfallen würde. 1902 als Volksbad eröffnet, schmücken es Skulpturen und Stuckarbeiten des Bildhauers Otto Lessing. Herzstück ist die Schwimmhalle, eine wahrhafte Kathedrale, in der Generationen von Berlinern schwimmen gelernt haben. 1986 musste die Schwimmhalle wegen Einsturzgefahr schließen. Danach blieb ihr Schicksal lange ungeklärt, bis sich unter den potenziellen Investoren Barbara Jaeschke behaupten konnte. Als Inhaberin der benachbarten Sprachenschule GLS überzeugte sie mit dem Konzept, das Stadtbad in ihren Schul-Campus zu integrieren. 5000 Schüler gehen bei ihr Jahr für Jahr ein und aus. Darunter sind nicht nur Berliner, die hier Unterricht in Business-Englisch, Japanisch oder Polnisch nehmen. Ein großer Teil der Schüler kommt von auswärts - mittlerweile aus mehr als 100 Ländern -, um an der Kastanienallee Deutsch zu lernen. Und die wollen untergebracht sein. "Wenn früher das Sprachenlernen ein notwendiges Übel war, dann ist es heute mit Lifestyle verbunden", sagt die Sprachschul-Chefin. "Die Leute suchen sich zum Lernen ein attraktives Umfeld mit entsprechender Unterbringung." Auf dem Schul-Campus war bereits ein kleines Hotel entstanden, dessen Kapazitäten nicht ausreichten. 2011 erwarben Jaeschke und ihr Mann das Stadtbad, sanierten es und verwandelten es in ein Vier-Sterne-Hotel. 74 Zimmer sind entstanden, in denen noch die Spuren der früheren Badekabinen sichtbar sind. Die Rettung des Gebäudes war allein schon eine gute Nachricht für den Kiez. Erst recht aber die, dass in der wunderbaren Schwimmhalle auch Nicht-Hotelgäste ihre Bahnen ziehen können.