Die Königin des Winters

Leidenschaftliche Gärtner brachten die Kamelie nach Sachsen. Ein gutes Klima sorgte dafür, dass die fernöstlichen Pflanzen gut gediehen. Jetzt blühen sie wieder.

Von 
Heidi Diehl
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Matthias Riedel ist Chef der Botanischen Sammlungen der TU Dresden. © Heidi Diehl

Nur über meine Leiche“, soll Gärtner Siegfried Jähne gesagt haben, als „Schneeweißchen“ und „Rosenrot“ 1970 aus dem Paradies vertrieben werden sollten. Länger als 150 Jahre hatten sie ihren Platz im Gewächshaus des Königsbrücker Schlosses behauptet, nun sollten sie für Radieschen und Salatköpfe weichen. Doch Jähne widersetzte sich und rettete den Kamelien das Leben. Die jetzt wieder üppig weiß und rot blühenden Bäume gehören zu den ältesten in Sachsen. Graf von Hohenthal, der einstige Besitzer des sächsischen Schlosses nahe Dresden, hatte sich die Pflanzen um 1820 in ein Gewächshaus im Schlosspark setzen lassen. Ganz nach dem Motto: Was der Hof in Dresden kann, kann ich schon lange!

Sachsen

  • Anreise Mit dem Zug über Leipzig nach Dresden.
  • Unterkunft Das Schloss Hotel Dresden-Pillnitz liegt in Laufweite von der berühmten Kamelie im Pillnitzer Park. Der Schlosskomplex wurde im 18. Jahrhundert als Sommerresidenz von Königen genutzt. DZ/F ab 114 Euro. Das Hotel Vienna House QF Dresden, direkt neben der Frauenkirche im Zentrum Dresdens, besticht mit zeitlosem Design. DZ ab 129 Euro. Von der Pension Meurer, mitten im Pillnitzer Königlichen Weinberg, blickt man aus luftiger Höhe auf das Kamelienhaus. DZ ab 75 Euro. Die Pension Donatus in Pirna empfiehlt sich für einen Besuch der Kamelienausstellung in Zuschendorf. Das liebevoll sanierte Patrizierhaus der Renaissance ist zudem ein idealer Ausgangspunkt für eine Tour in die nahe Sächsische Schweiz. DZ ab 42 Euro.
  • Kamelien-Ausstellungen Die 17. Deutsche Kamelienblütenschau im Landschloss Pirna-Zuschendorf beginnt am 29. Februar und ist bis zum 17. April 2020 zu sehen, www.kamelienschloss.de. Das Gewächshaus Königsbrücker Kamelien ist von Ende Januar bis Ende März jeden Sonntag von 10 bis 17 Uhr kostenfrei geöffnet, www.koenigsbrueck.de. Das Kamelienhaus Roßwein ist von Ende Januar bis Ende März an den Wochenenden von 11 bis 16 Uhr geöffnet, www.heimatverein-rosswein.de. Das Kamelienhaus im Pillnitzer Schlosspark ist von Ende Januar bis Mitte April täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet, www.schlosspillnitz.de.

Kamelien zu besitzen, galt Anfang des 19. Jahrhunderts als schick. Doch nur die herrschaftliche Familie und auserwählte Gäste bekamen die exotischen Blüten zu sehen. Nach 1945 wurde das Kamelienhaus dem volkseigenen Gut zugeschlagen, das schon bald einen Teil der für es nutzlosen Pflanzen entfernen ließ, bis Jähne kam und einen Rest rettete. Nach der Wende nahm sich der Heimatverein Königsbrück der Pflanzen an und öffnete 2000 das Kamelienhaus für jedermann.

Während die Besucher vor allem über die Blütenschönheiten staunten, war die Fachwelt außer sich: So alte Kamelien in Königsbrück zu finden, glich einer Sensation. Was sich dann in dem 4000-Seelen-Städtchen abspielte, wird Peter Sonntag vom Heimatverein nie vergessen: „5000 Menschen wollten an einem einzigen Nachmittag ‚Schneeweißchen‘ und ‚Rosenrot‘ sehen.

Rund 500 Meter lang war die Schlange. Heute wachsen in dem Gewächshaus 27 Kamelien, und die Königsbrücker, die, so Sonntag, „vor 20 Jahren noch nicht wussten, wie man Kamelie schreibt, sind heute stolz wie Bolle“.

Genauso wie die Einwohner von Roßwein, einer Kleinstadt im Sächsischen Berg- und Heideland. Hier ließ sich 1797 ein Graf Einsiedel eine Orangerie erbauen, in die er neben zwei weiteren eine Camellia japonica Alba Plena setzen ließ, die sich auch nach mehr als 200 Jahren alljährlich ab Februar mit unzähligen großen, weißen, gefüllten Blüten schmückt. Auch in Roßwein war es ein rühriger Heimatverein, der nach der Wende das Schattendasein des baufälligen Gewächshauses beendete und es zur Besucherattraktion machte. Dass die Alba Plena heute die älteste gefüllte Kamelie nördlich der Alpen ist, verdankt sie dem Tischler Emil Heller. Er schleppte nach dem Krieg unermüdlich Holz heran, um die Pflanzen vor dem Erfrieren zu retten. Auch die berühmte Pillnitzer Kamelie hatte einen Schutzengel. Sie steht noch immer an der gleichen Stelle im Schlosspark, an die sie Hofgärtner Terscheck 1801 pflanzte. Von Anfang an bekam sie im Winter einen dicken „Mantel“ gegen den Frost – erst aus Stroh und Bastmatten, später ein Holzhaus. 1992 wurde das durch ein fahrbares Glashaus ersetzt, das in der warmen Jahreszeit einfach auf Schienen weggerollt wird. Die mit über 250 Jahren älteste und größte Kamelie Europas nördlich der Alpen hat eine Höhe von 8,90 Metern und einen Durchmesser von elf Metern.

Die Kamelie mag es nicht zu warm und nicht zu kalt

Wenn sie im Februar ihr rotes Kleid aus Zehntausenden Blüten anlegt, ist sie der Superstar im 36 Hektar großen Pillnitzer Park. Der ehemalige Schlossparkgartenchef Wolfgang Friebel erinnert sich an eine Gruppe älterer Besucher aus Japan: „Eigentlich sagt man denen ja nach, dass sie zurückhaltend seien. Die aber konnten sich gar nicht wieder beruhigen.“

Hier im Pillnitzer Park nahm die sächsische Kamelien-Manie mit König Friedrich August dem Gerechten (1750-1827) ihren Anfang. Als Politiker hatte er kein glückliches Händchen, als „Botaniker auf dem Thron“ dafür umso mehr. Er sammelte Pflanzen, gründete den Botanischen Garten Dresden und ließ seinem Hofgärtner Johann Heinrich Seidel größte Freiräume. Doch warum wurde gerade Sachsen zu einer Hochburg der europäischen Kamelienzucht? „Seit August dem Starken liebten die sächsischen Herrscher alles Fernöstliche“, erzählt Friebel.

Dass die in China und Japan heimischen Kamelien in Sachsen seit mehr als 200 Jahren so gut gedeihen, ist aber nicht nur leidenschaftlichen Gärtnern und Sammlern zu verdanken, sondern auch klimatischen Bedingungen. Die Kamelie liebt schwach sauren Boden, im Winter Temperaturen von zwei bis acht Grad, im Sommer ein helles Plätzchen ohne direkte Sonne und eine möglichst hohe Luftfeuchtigkeit. Wenn man ihr das bietet, dann lohnt es die „Königin des Winters“ mit reichem Blütenflor. „Wahrscheinlich lieben viele sie auch deshalb so, weil sie blüht, wenn in der Natur noch alles grau in grau ist“, sagt Matthias Riedel, Chef der Botanischen Sammlungen der TU Dresden, die im Landschloss Pirna-Zuschendorf ihren Sitz hat. Riedel darf man getrost als den sächsischen Kamelien-Papst bezeichnen. Als nach 1990 im Umland viele Gewächshäuser verschwanden, um Platz für Bauland zu schaffen, sammelten er und seine Mitstreiter daraus botanische Raritäten ein und gaben ihnen in Zuschendorf eine neue Heimat.

Auch zwei der einst 42 Gewächshäuser der 1915 gegründeten Königlichen Hofgärtnerei Pillnitz konnten gerettet und in Zuschendorf wieder aufgebaut werden. Seit 2004 findet alljährlich im Landschloss eine Kamelienblütenschau mit über 500 Sorten statt.

Kamelien kann man inzwischen in jedem Blumenladen kaufen. Doch Riedel rät davon ab, wenn man kein Gewächshaus hat: „In der warmen Wohnung würde sie sofort alle Blüten abwerfen und im Garten den ersten Winter nicht überstehen.“ Die Sehnsucht nach der „Königin des Winters“ könne man besser in Königsbrück, Roßwein, Pillnitz oder Zuschendorf stillen. Jedes Jahr bis Anfang April.