Blut, Schweiß und Tränen

„Die dunkelste Stunde“: Gary Oldman gelingt in „Die dunkelste Stunde“ als Sir Winston Churchill eine Oscar-reife Leistung

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Gary Oldman verkörpert glaubhaft den britischen Premierminister Winston Churchill. Jack English/Universal Pictures International © Bild:

Noch einmal der wohl bekannteste Brite des 20. Jahrhunderts: Winston Churchill, 1874 als Sohn einer Amerikanerin im englischen Woodstock geboren, gestorben 1965 in London. Von 1940 bis 1945 bzw. von 1951 bis 1955 war er Premierminister, zuvor hatte er als Erster Lord der Admiralität, Innen- und Finanzminister bereits ranghohe Ämter bekleidet. Einen Namen machte der Hobbymaler sich zudem als Autor, 1953 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Zuletzt hat, nach zig Fernseh- und Kinofilmen – darunter Richard Attenboroughs „Der junge Löwe“ (1972) –, der Australier Jonathan Teplitzky in „Churchill“ an den Staatsmann erinnert.

Kein ausuferndes Biopic hatte er im Sinn, lediglich ein paar wenige, schwierige Tage im abwechslungsreichen Leben seines Helden zeichnete er nach. Wie nun auch Joe Wright („Abbitte“) in „Die dunkelste Stunde“. Im Mai 1940 stürzt die britische Regierung nach dem Rücktritt von Premierminister Chamberlain in eine existenzielle Krise. Nur dem unpopulären Churchill (Gary Oldman) traut man zu, die scheinbar ausweglose Lage in den Griff zu bekommen. Widerwillig übernimmt er das Amt, bald wird er von der Öffentlichkeit und den Kollegen bedrängt, mit den scheinbar übermächtigen Nationalsozialisten einen Friedensvertrag auszuhandeln.

Doch das kommt für den glühenden Patrioten nicht in Frage. Die Freiheit der Nation muss mit allen Mitteln gewahrt werden. Ein totaler Krieg ist seiner Meinung nach dazu unumgänglich. Diesen muss er gegen den Willen des Volkes, des skeptischen Königs Georg VI. (Ben Mendelsohn) und sogar der eigenen Partei durchsetzen – und im Gegenzug kann er lediglich „Blut, Schweiß und Tränen“ versprechen. Die Story ist weitestgehend bekannt, der Ausgang, wie auch vorangegangene Ereignisse, etwa die Massenevakuierung des eingeschlossenen britischen Expeditionsheeres (jüngst bildgewaltig von Christopher Nolan in „Dunkirk“ dargestellt) auch.

Der Regisseur und sein Drehbuchautor Anthony McCarten („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) interessieren sich kaum für Action, sondern primär für das Innenleben ihres Protagonisten. Warum hat er gehandelt, wie er gehandelt hat? Was hat er gedacht, was hat ihn motiviert? Es geht um Geist und Seele der komplexen, kontroversen Figur, die das Schauspielchamäleon Oldman – er verkörperte unter anderem bereits Ludwig van Beethoven, den Punker Sid Vicious und den Dramatiker Joe Orton – in einer Oscar-reifen Performance, geradezu erschreckend glaubwürdig, zum Leben erweckt. Hinzu kommen ein perfektes Make-up, Zylinder, Gehrock, Stock, die unvermeidliche Zigarre und der Scotch, der schon zum Frühstück getrunken wird – nicht zu vergessen das berühmte Victory-Zeichen – Zeige- und Mittelfinger zum „V“ geformt.

Seine hochkarätigen Mitspieler, Stephen Dillane als Chamberlain, Lily James als treue, die britische Bevölkerung repräsentierende Sekretärin oder Kristin Scott Thomas als langjährige, langmütige Gattin Clementine fungieren eher als Stichwortgeber, was ihre überzeugenden Leistungen aber keinesfalls schmälert. Makellos ist das Produktionsdesign von Sarah Greenwood („Anna Karenina“), stimmig ins düstere, rauchverhangene (Zwie-)Licht setzt Kameramann Bruno Delbonnel („Die fabelhafte Welt der Amelie“) den ewig grübelnden und polternden Machtmenschen. Geschichtsunterricht in Form einer Leinwandbiografie, die die Gräuel des Weltkrieges bis auf wenige, dann aber erschütternde Momente außen vor lässt.