Pop

Ein handwerkliches Meisterstück von Bono und The Edge

U2 interpretieren auf "Songs Of Surrender" 40 ihrer Songs völlig neu - meist leise, mit starkem Fokus auf dem Gesang

Von 
Jörg-Peter Klotz
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U2 haben es von der Schülerband zu einer der größten Rockgruppen aller Zeiten gebracht (von links): Sänger Bono (62), Gitarrist The Edge (61), Bassist Adam Clayton (63) und Drummer Larry Mullen Jr. (61). © Kurt Iswarienko

„Sending out an ,SOS’ – U2-Fans werden unter der Abkürzung künftig nicht mehr den Notruf „Save Our Souls“ verstehen, sondern „Songs Of Surrender“. So heißt das neue Album der vier Iren, das am Freitag erschienen ist – und gar keine neuen Songs erhält. Nun ist die Vokabel „Surrender“ wie im Titel von Bonos Autobiografie nicht als Aufgabe im Sinne von kreativer Kapitulation zu verstehen, weil der Band nichts mehr einfällt. Eher als Hingabe an die eigene musikalische Mission.

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Dass U2 längst veröffentlichtes Material komplett neu arrangieren und einspielen, ist in erster Linie ein Pandemie-Projekt von Gitarrist The Edge und Sänger Bono seit Anfang 2021. Ein weiteres Best-of-Album zusammenzustellen, macht ja kaum noch Sinn – das Format wird in Zeiten von gut kuratierten Streaming-Playlists keine Zukunft mehr haben. Vor allem dürfte es der Band wie so oft darum gehen, die eigene Relevanz in Erinnerung zu halten.

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Natürlich finden sich unter den je nach Edition bis zu 40 Re-Recordings (so nennt man die in Mode kommenden Neuaufnahmen eigenen Materials) auch die großen Hits. Ein großer Teil der insgesamt zwei Stunden und 46 Minuten besteht aber auch aus halb vergessenen Songs und Material von den Alben seit „Pop“ (1997), die bei vielen Fans keinen so ikonischen Status haben wie die Klassiker davor. Da die neuen Arrangements radikal anders, überwiegend akustisch und fast leise sind, macht das Hören dieser U2-Breitseite subtil Appetit, die Originale wieder zu hören. Auch in eigener Sache waren U2 ja oft nicht ganz unmissionarisch.

The Edge fährt die Gitarre zurück

Bei den Neuerfindungen ist am erstaunlichsten, dass The Edge die Produktion federführend verantwortet. Denn: Der für die Marke U2 absolut charakteristische Gitarren-Sound des Effektzauberers spielt keine Rolle. Oft trägt ein Piano die Melodie, der Sound ist entschleunigt und reduziert – Ausnahmen wie die überladene Version von „Where The Streets Have No Name“ bestätigen die Regel.

Den noch größeren Mehrwert liefert hier Bono: Der 62-Jährige ist natürlich ein ganz anderer Sänger als zu Zeiten der großen, allseits bekannten Hits in den 80ern und frühen 90ern. Viel raffinierter, vielseitiger und origineller. Seine schwer widerstehliche Stimmfarbe kann man nicht lernen. Allerdings agiert er damit nicht gerade ökonomisch, sondern setzt auf ein riesiges Spektrum an Soul-Girlanden, Oktav- und Dynamikwechsel. Nach zwei Liedern denkt man: „Oje, wenn dieser Manierismus 40 Lieder lang anhält, wird das anstrengend.“ Aber – noch mal – erstaunlicherweise wächst die Faszination für seinen Facettenreichtum und Entdeckerfreude am eigenen Material mit jedem Hören. So gesehen sind die „Songs Of Surrender“ handwerklich Bonos Meisterwerk als Sänger. Bestes Beispiel zum Herauspicken: „Beautiful Day“. Kein Wunder, dass der Frontmann sie eng an sein Buch gekoppelt hat. Schließlich macht diese Musik den Großteil seines Lebens aus.

Bonos Meisterwerk als Sänger

Aber auch The Edge setzt sich hier uneigennützig ein Denkmal und stellt den Gesang absolut dominant ins Zentrum der Produktion. Dabei arbeitete er fast wie ein Laborant: „Ich beobachtete, wie ein Song sich zusammenhielt, wenn alles, bis auf das Wesentliche, weggenommen würde“, erklärt der 61-Jährige im Pressetext. Sein anderes Hauptziel sei es gewesen, „Wege zu finden, Intimität in die Songs zu bringen, da die meisten von ihnen ursprünglich für Live-Konzerte geschrieben wurden.“ So brachte ihm diese Zeitreise durch die eigene Karriere die schöne Erkenntnis: „Ein großartiger Song (...) ist irgendwie unzerstörbar.“

Und davon haben U2 nun mal Dutzende. Nicht jeder gewinnt unbedingt durch die Neuinterpretation. Der Opener „One“ zum Beispiel wäre in der neuen, noch getrageneren Version wohl nicht zur Jahrhundertballade geworden. Aber hier entfaltet sich trotzdem der Reiz radikaler Coverversionen: Dass man den Song, vor allem den Text, neu wahrnimmt oder andere Facetten entdeckt. Das muss (oder kann) nicht immer besser sein als das Original.

Am empfehlenswertesten unter den vielen Ausgaben des Albums ist die relativ preiswerte Vier-CD-Box mit allen 40 neu aufgenommenen Songs. Die sind in vier separaten „Alben“ aufgeteilt, die jeweils einem Bandmitglied gewidmet sind.

Fast beispiellos ist mal wieder der Marketing-Vorlauf – der ohne gigantisches Eigentor auskam, wie das unaufgeforderte Verteilen des Albums „Songs Of Innocence“ an Millionen von Apple-Nutzern 2014. Außer den üblichen Vorab-Auskopplungen haben Dutzende Künstler verschiedenster Sparten Videos produziert, Fans wurden aufgefordert, ihre Geschichten zu einzelnen Songs einzusenden, und am Wochenende gibt es in 40 Städten Aktionen für U2-Anhänger.

In Deutschland werden kleine Fan-Pakete in Berlin verteilt. Leider. Selbstverständlich wäre Mannheim besser qualifiziert – Where the streets have No Name“ (wo die Straßen keine Namen haben) und ein Block sogar U2 heißt. Auf das freundliche Angebot dieser Redaktion, unter diesem einschlägigen Schild in der Quadratestadt zu posieren, haben Bono und Co. 1997 aber nicht reagiert, als sie auf der gigantischen „Popmart“-Tour ihr bislang letztes Konzert in der Quadratestadt spielten.

16 bis 40 Aufnahmen

  • U2 begannen 1976 als Postpunk-Schülerband in Dublin, ab 1978 nannte sich das Quartett U2. Zwei Jahre später folgte mit dem Debütalbum „Boy“ ein Achtungserfolg. Mit „The Unforgettable Fire“ gelang der Aufstieg zu Rock-Weltstars.
  • Offizielle Tourpläne von U2 sind bislang nicht bekannt. Gerüchteweise berichten Fan-Seiten eine Stadiontour in Europa von Juni bis Anfang August und in Nordamerika im Herbst
  • „Songs Of Surrender“ ist in den folgenden Formaten erhältlich: Digital (40 Songs), Standard-CD (16 Tracks), Deluxe-CD (20), 4-CD-Box (40), Standard Black Vinyl (16), 4LP Box (40 Tracks) und als Kassette (16 Tracks). 

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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