"Da waren alle ziemlich überrascht und erschrocken", sagt einer, der es ganz eng mitbekam. Denn die Zahl, die Architekt Andreas Schmucker am Freitag in kleiner Runde der Stadtspitze und Theaterleuten am Ende einer sehr langen Präsentation nannte, kam für einige Zuhörer unerwartet. 185 Millionen Euro für die Sanierung des Nationaltheaters - da mussten alle erst einmal schlucken. Oberbürgermeister Peter Kurz verdonnerte sie zu strengstem Stillschweigen, setzte das Thema aber schnell auf die Tagesordnung der gestrigen Gemeinderatssitzung; freilich im nicht öffentlichen Teil.
Ersatzspielstätten ungeklärt
Bei der letzten großen Sanierung war das Nationaltheater von Sommer 1992 bis Anfang 1994 geschlossen. Damals ging es um Bühnentechnik und den neuen Bühnenturm fürs Schauspiel. Kosten: 26 Mio. Euro.
Jetzt ging man zunächst auch davon aus, dass das Haus für ein bis einneinhalb Jahre geschlossen werden muss.
Architekt Schmucker hat nun vorgerechnet, dass das nicht reicht: Er geht von drei Jahren reiner Bauzeit aus, dazu ein Jahr für Aus- und Einzug - macht in der Summe vier Jahre.
Der Rosengarten und die (1992 fürs Schauspiel gebaute) kleine Maimarkthalle stehen nicht mehr zur Verfügung, weil oft ausgebucht. Man will nun fürs Theater andere Hallen oder den Pfalzbau mieten, vielleicht das alte Kino der Amerikaner auf Benjamin Franklin umbauen.
Man rechnet dafür "mit einem weiteren zweistelligen Millionenbetrag", konkret rund 20 Millionen Euro. pwr
Schließlich gibt noch gar nichts zu entscheiden. Erst bis Dezember soll das Büro Schmucker eine konkrete Kostenberechnung vorlegen, der Gemeinderat dann irgendwann 2018 einen Beschluss fassen.
"Dann wird auch über das weitere Vorgehen diskutiert werden", erläutert Kulturbürgermeister Michael Grötsch. Gestern habe man nur die Kostenschätzung "umgehend" dem Gemeinderat und danach der Öffentlichkeit mitteilen wollen. "Dies schließt keine inhaltliche Festlegung einer Sanierungsentscheidung ein", stellt er klar. Bei den Etatberatungen im Herbst für 2018/19 wird das Thema daher noch weitgehend ausgeklammert. Nur "Planungsvorlaufkosten" will man einstellen, damit Schmucker weiter arbeiten kann.
Hinter jede Wand geschaut
Der Mannheimer Architekt war nach einer europaweiten Ausschreibung im Oktober 2016 beauftragt worden, sich mit einem interdisziplinären Planungsteam das Gebäude genau anzuschauen. 3,5 Millionen Euro bewilligte der Gemeinderat, damit Schmucker eine "beschlussfähige Kostenermittlung und ausschreibungsfähige Planung", so der Auftrag, erarbeitet. Bislang gab es nämlich gar keine belastbaren Zahlen, während er jetzt hinter jede Wand, unter jede Decke schaute, ganz konkret Maß nahm und Flächen berechnete. Die Machbarkeitsstudie von 2012 nannte zwar 54 Millionen Euro, aber nur mit der klaren Einschränkung "vorläufig grob beziffert". Der Betrag war zuletzt im Rathaus intern auf vielleicht 80 bis 100 Millionen Euro hochgerechnet worden.
Endgültig ist auch die jetzt genannte Zahl nicht. Einerseits handelt es sich um einen, wie Architekten sagen, "brutto-brutto"-Betrag. Nicht nur Umsatzsteuer, Planungsleistungen, mögliche Preissteigerungen sind einkalkuliert, sondern ebenso ein - vergleichsweise hoher - Betrag für Unvorhergesehenes, ein sogenannter Risikoaufschlag von 30 Prozent. Andererseits habe man "die maximalen Anforderungen nach derzeitigem Stand berechnet", könne also vielleicht bei der Bühnentechnik noch irgendwo einsparen.
Die Hauptprobleme bei dem 1957 errichteten Bau in der Goethestraße sind der Brandschutz und die Technik. Die Stadträte erfuhren gestern, man müsse "erheblich nachrüsten", das Gebäude letztlich entkernen. Die teils mit Holz verkleideten Wände und die nur acht Zentimeter dicken Decken halten gerade mal 30 Minuten Flammen stand - 90 Minuten sind heute vorgeschrieben.
Für Orchester- und Chorsaal fehlen Fluchtwege. Es gibt nicht überall Sprinkleranlagen, die gesamte Haustechnik wie Belüftung, Kühlung, Elektro- und Sanitärleitungen sind auf dem Stand von 1957 und aus dem als Lager genutzten alten Bunker unter dem Theater dringt Feuchtigkeit ein. "Tropfsteinhöhle" spottete Schmucker bei einer Veranstaltung für Theaterbesucher im April: "Das ist alles komplett marode!" Oberbürgermeister Kurz kündigte an, er werde "die Gespräche mit dem Land intensivieren", denn die Stadt könne das "alleine nicht tragen".