„Treffen sich zwei Freundinnen – Helene Hegemann und Lena Brasch“ lautet der einladend unprätentiöse Titel dieses Gesprächsabends beim Festival Lesen.hören 17 in der Alten Feuerwache Mannheim. Aber die beiden darin Genannten haben ihm noch eine eigene Überschrift gegeben: „Nadryw“.
Es sei dies ein „unübersetzbares russisches Wort“, so Hegemann, das Swetlana Geier in ihren Übersetzungen der Dostojewski-Romane (wo es sehr oft vorkomme) auch unübersetzt gelassen habe. Im Grunde, wenn auch nicht ganz richtig, sei es ein Wort „für eine Art von Schmerz-Ekstase“. Ein Wort, das „den Moment der allergrößten Anspannung vor einer Explosion bezeichnet“.
Zwei Freundinnen unterhalten sich hier also, die beide Autorinnen und Regisseurinnen sind und noch einiges mehr an Gemeinsamkeiten und Verbundenheit teilen, wie sich in den kommenden knapp eineinhalb Stunden in der gut besuchten Feuerwache zeigen wird.
Schillernde Erzählungen
Hegemann, Jahrgang 1992, die schon 2008 ihren ersten Film „Torpedo“ drehte und sich mit ihrem Roman „Axolotl Roadkill“ 2010 ins helle Licht der Öffentlichkeit katapultierte (mit allen folgenden Verwirbelungen, über die sich viel nachlesen lässt). Und Lena Brasch, geboren 1993, die der bekannten Kunst- und Kultur-schaffenden Brasch-Familie entstammt und deren Debütinszenierung am Berliner Ensemble, „It´s Britney, Bitch!“, vergangenes Jahr für Furore sorgte.
Es ist ein Gespräch, in dem es sehr viel um das Theater geht, um die Menschen, die es mach(t)en, und um das, was es mit einem selber macht. Über prägende Erfahrungen. Im Mittelpunkt steht die Berliner Volksbühne, an der die Väter der beiden (Jürgen Kuttner und Carl Hegemann) arbeiteten, die auch sehr eng miteinander befreundet gewesen seien, wie Brasch erzählt.
Gleichwohl lernten die zwei Frauen sich dort nicht schon als Kinder, sondern erst später kennen – und zwar „eigentlich während des Untergangs der Volksbühne“, so Hegemann, als 2017 Intendant Frank Castorf durch Kunstkurator Chris Dercon abgelöst wurde. Von Castorfs Arbeiten ist immer wieder die Rede in dem Gespräch, in dem die beiden ein so faszinierend schillerndes wie differenziertes Bild dieser Volksbühnen-Ära zeichnen. Auch um Regisseur Christoph Schlingensief und dessen Begegnung mit Rock-Legende Patti Smith geht es da, über die Hegemann ihren 2021 erschienenen Essay „Patti Smith“ geschrieben hat.
Abend Bernd Neumann gewidmet
Vor allem aber wird dieser Abend dem 2015 überraschend verstorbenen, großen Bühnenbildner Bert Neumann gewidmet, nach dessen Tod Brasch einen (hier gleichfalls vorgetragenen) Text unter dem eingangs genannten Titel „Nadryw“ verfasst hatte.
Und schließlich, zum Abschluss dieses sehr einnehmenden Abends, lesen beide ein Kapitel aus Hegemanns bemerkenswertem jüngstem Erzählungsband „Schlachtensee“, in dem der Blick der Autorin wie ein Röntgenstrahl die Körper- und Wesensschichten der Figuren durchdringt und deren Verlorenheit und Fremdheit in der Welt sichtbar macht.