Tanz - „My Own Echo Chamber“ feiert Premiere im Eintanzhaus

Wie im Gefängnis

Von 
Markus Mertens
Lesedauer: 

Das Netz ist in der Kulturgeschichte ein zweischneidiges Phänomen. Denn auf der einen Seite mag es Halt bieten und Stabilität ermöglichen. Doch auf der anderen Seite nehmen die Schlingen auch jeden gefangen, der die dünnen Pfade nicht achtsam beschreitet – auf dass er sich nie wieder aus seinen Fängen löse.

Wer sich im Mannheimer Eintanzhaus auf die Performance einlässt, die unter dem Titel „My Own Echo Chamber“ schon selbst zum Metapher gewordenen Gefängnis avanciert, erlebt daher konsequent beide Sphären vernetzter Wirklichkeit. Auf der einen Seite: Das Internet als Quell von positiv menschlicher Auseinandersetzung, essentieller Information, gar Freundschaft und Hedonismus. Aber auch die Datenkrake zwischen finsteren Begierden, Sex, Verfälschung und Depression wird hier eindrucksvoll apostrophiert. Ein Vexierbild, das kein Richtig oder Falsch kennt, sondern die losen Enden zwischen Wahrhaftigkeit und Wahn schlichtweg konsequent miteinander verknotet.

Wie effektiv dem Kollektiv Synchron mit den beiden Performern Georgie Begbie und Peter Hinz diese Verschmelzung gelingt, erschüttert teilweise tief ins Mark. Und das nicht allein, weil Designer Antonio Pipolo und Komponist Giovanni Cristino mit kristallinen Klängen und stroboskopartig flackernden Lichtern ein Szenario eröffnen, das einem bisweilen den kalten Schauer über den Rücken jagt. Sondern auch und besonders deswegen, weil sich die beiden Darsteller gegenüber der Macht des Netzes weder als Herren noch Unterwürfige präsentieren, sondern folgerichtig zwiegespalten bleiben.

Bewusste Selbstreflexion

Wie kraftvoll Begbie und Hinz die elastischen Fäden bisweilen auseinanderdrängen, um später wieder von ihnen geformt zu werden, ist nicht nur visuell-ästhetisch eine Wucht, sondern lehrt auch, dass Selbstreflexion den Einschluss in das eigene virtuelle Gefängnis verhindern kann. Das ist keine geringe Erkenntnis.

Freier Autor