Festspiele Ludwigshafen - Mit Bläsern der Staatsphilharmonie, einer Evakuierung des Pfalzbautheaters und der Shakespeare-Premiere „Sturm“ beginnt das Festival

Stürmischer Auftakt mit Alarm

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Shakespeares Personal auf der Zauberinsel: ein Luftgeist (l. Ingrid Domann als Ariel) und ein Büchernarr (Rainer Kühn als Prospero). © Alen Ljubic

„Dess kehrt bschdimmt zum Schtick!“ Da sind sich erfahrene Theaterzuschauer sicher. Gerade hatte man nach verklungenen Festreden und festlichen Fanfaren der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in den coronakonform ausgedünnten Sitzreihen Platz genommen, musste man sie auch schon wieder verlassen: unter Alarmgeklingel und der viersprachig ertönenden Anweisung „Verlassen sie das Gebäude, bewahren Sie bitte Ruhe und folgen Sie den beschilderten Notausgängen“. Da man im deutschen Sprechtheater manches gewohnt ist, hielt man diesen „alarmierenden Auftakt“ zunächst für einen Gag zum Inszenierungseinstieg.

Shakespeares späte Komödie „Der Sturm“

  • Die erste bezeugte Aufführung der fünfaktigen Vers- und Prosakomödie „The Tempest“ fand am 1. November 1611 am Hofe des englischen Königs Jakob I. statt. Eine deutsche Erstaufführung ist 1761 in Biberach belegt.
  • „Der Sturm“ stammt aus William Shakespeares (1564-1616) später Schaffensperiode und ist vermutlich sein letztes komplett fertiggestelltes Drama, das im Erstdruck der Folio-Ausgabe von 1623 reich verziert an erster Stelle steht.
  • Die in Ludwigshafen gespielte Fassung ist eine durch Barbara Wendland geglättete Mischform der Übersetzung August Schlegels sowie Passagen aus Christoph Martin Wielands Übertragung.
  • Weitere Aufführungen im Rahmen der Festspiele Ludwigshafen finden am Samstag, 31. Oktober, 19.30 Uhr, sowie am Sonntag, 1. November, 18 Uhr statt. Die Aufführung dauert pausenlose 100 Minuten. Karten telefonisch unter 0621/504 25 58. rcl

Zurück im Saal informiert Intendant Tilman Gersch, dass der Alarm nicht zur Inszenierung gehört: „So etwas kann man sich nicht ausdenken. Auch hätte ich Ihnen so etwas nicht angetan.“ Wie sich später herausstellen sollte, war nur Trockeneisnebel in einen Raum gekrochen, wo er nicht hingehörte und hatte einen Rauchmelder ausgelöst. Mit halbstündiger Verzögerung geht es hinter dem Eisernen Vorhang der Pfalzbaubühne turbulent zu. „Der Sturm“ von Shakespeare tobt hier.

Rache und Vergebung

Edelleute und Matrosen kämpfen auf hoher See ums Überleben. Der ausführende Luftgeist Ariel und sein belesener Dienstherr Prospero, einst edler Herzog von Mailand, gewähren es ihnen. Ein Zufall treibt die heutige Herrscherclique um seinen Bruder Antonio und den König von Neapel vor Prosperos „bezauberte Insel“, wo er sich längst mit Töchterchen Miranda und dienstbaren Geistern eingerichtet hat. Rache braucht Gelegenheit.

Das weiß der erfahrene Dramatiker Shakespeare, oft hat er sie per Federkiel für seine Helden ergriffen. Nun, in seinem höchstwahrscheinlich letzten Stück, das übrigens – soviel Lokalpatriotismus muss dann doch sein – auch 1613 bei den Hochzeitsfeierlichkeiten für Elisabeth Stuart und den kurpfälzischen Kurfürsten Friedrich V. zur Aufführung kam, lässt er Milde walten. Ein wenig plötzlich kommt sie dem wieder eingesetzten Fürsten Mailands in den Sinn. Aber immerhin verdanken wir den Einflüsterungen von Ariel und Miranda, beide eindrücklich gespielt von Ingrid Domann, die schöne Prospero-Erkenntnis „Es ist mehr Würde in Vergebung denn in Rache.“

Bis es so weit ist, braucht der inszenierende Intendant Tilman Gersch 100 Minuten. Für fünf Akte ohne Figurenstriche eine mehr als saubere Leistung – auch der Dramaturgie von Barbara Wendland. Nymphen, Kobolde, Luftgeister, Götter, Schiffsmannschaft und zwei Fürstenhöfe verteilt Gersch auf drei Darsteller, deren Wandlungsfähigkeit, Spielfreude und Agilität wirklich atemberaubend sind: Rainer Kühn, Ingrid Domann und Thomas Halle nehmen wie beiläufig die jeweiligen Accessoires von den an der Bühnenrückwand platzierten Kostümständern und schlüpfen buchstäblich „en passant“ in die nächste Figur. Es ist nicht so, dass man das noch nicht gesehen hätte. Außergewöhnlich ist die Unaufgeregtheit und Plausibilität der Figurenwechsel, die sich kongenial in der hohen Musikalität des Abends auflösen. Auch die Verbindung des Stücks mit Musik ist keine Erfindung Gerschs, sie ist dem Stück gar eingeschrieben. Doch das Trio aus Isabelle Bodenseh (Flöten), Frank Rosenberger (Flügel) und Frank Willi Schmidt (E-Bass, Tuba, Handpan) bringt den Abend zum Schweben, mit irisierenden Jazz-Glissandi, mit zauberisch perlendem Klavier oder geisterhaft Singender Säge, die sich stilistisch auch mal in Romantik und Renaissance aufmachen. Dort, wo es passt. Und genau dies ist das Erfolgsgeheimnis diese „Sturms“: Es passt. Mit wenig Mitteln und viel Fantasie hat Tilman Gersch eine alte Wundermaschine namens Theater angeworfen, mit deren Hilfe Tücher, Nebel, Licht, ein Hut, eine Feder urplötzlich „die Welt bedeuten“. Das geht glänzend mit geschmackvollen Kostümen von Petra Straß und Birgit Reimann, vor allem aber mit einem Darstellertrio, das in Rainer Kühn einen exzellenten Sprecher und präsentes Zentrum, in Ingrid Domann ein flüchtiges Schmetterlingswesen und in Thomas Halle einen handfesten Caliban wie jugendlichen Edelmann hat.

Ein Abend voller Poesie

Es ist erstaunlich, hochprofessionell und bewundernswert, wie der Aufregung des Alarmauftakts ein so leichtfüßiger, duftiger Schauspielabend voller Poesie, Humor und Güte folgen kann: „Wo ihr begnadigt wünscht zu sein, Laßt eure Nachsicht mich befrein.“ Ein musischer Humanitätsappell im märchenhaften Rausch einer späten dichterischen Utopie: So viel Shakespeare hat man lange nicht gesehen. Dafür gab es langen Jubel und rhythmisches Klatschen – Bravo!

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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