Konzert

Simply Quartet überzeugt in Mannheim mit wuchtigen Klangwelten

Simply Quartet mit radikalen Streicher-Eruptionen

Von 
Stephan Hoffmann
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Gastspiel in den rem: Simply Quartet bei einem früheren Konzert. © Simon Buchau

Rücksicht wird nicht genommen. Nicht aufs Publikum, das bei diesen Interpretationen ein Höchstmaß an Konzentration aufbieten muss; nicht auf die vier Instrumente, die diese Interpretationen unbeschadet aushalten müssen; und schon gar nicht auf die vier Interpreten. Das international zusammengesetzte Simply Quartet (die beiden Chinesen Danfeng Shen, 1. Violine, und Xiang Lyu, Viola; die Österreicherin Antonia Rankersberger, 2. Violine, und der Norweger Ivan Valentin Hollup Roald, Cello) setzte bei seinem Konzert in den Reiss-Engelhorn-Museen von Anfang an auf äußerste Radikalität – in den Tempi, in der Dynamik, in der gesamten Anlage seiner Wiedergabe.

Überraschende Akzente

Natürlich sind Streichquartette seit ihrer „Erfindung“ durch Joseph Haydn viel besser als Sinfonien oder andere groß besetzte Werke für Klangexperimente aller Art geeignet, aber selten wird dies so deutlich in Klang umgesetzt wie hier. Schon bei Haydns D-Dur-Quartett op. 20, Nr. 4 kam man kaum zum Atem holen, so sehr wurde man durch unvermittelte Klangexplosionen und überraschende Akzente beim Hören gefordert. Durchgehend ebenmäßige Klangschönheit ist für das Simply Quartet nicht von allergrößter Bedeutung, da sind die an Robert Schumann erinnernden verschobenen Taktschwerpunkte im dritten Satz schon deutlich wichtiger – überhaupt wird jede Gelegenheit genutzt, auf kompositorische Ungewöhnlichkeiten hinzuweisen.

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Alles wird ins Extrem getrieben

In der Wiedergabe durch das Simply Quartet bietet auch György Ligetis erstes Streichquartett von 1953/54 jede Menge Möglichkeiten für Klang-Eruptionen. Alles wird ins Extrem getrieben. Bei Antonín Dvoráks Quartett G-Dur op. 106, das vom böhmischen Musik-Idiom geprägt ist, kann das nicht nur bedeuten, dass hier ein Streichquartett die Wucht und die Farbigkeit eines ganzen Orchesters entfaltet, manchmal ist auch die Grenze zum Kitsch zumindest in Sichtweite. Und wenn bei einer so radikalen Ausleuchtung der Partituren mal ein Ton verrutscht – geschenkt. Das ändert nicht das Mindeste an diesem grandiosen Abend. Und auch das kann man erfreulicherweise feststellen: Die Zuhörerzahlen nähern sich der Vor-Coronazeit wieder an. Zum Glück.

Freier Autor