Liebes Corona-Tagebuch,
AUDIO: Corona-Tagebuch: Schwedischer Irrweg
liebe Leserinnen und Leser,
erinnern Sie sich noch an die Corona-Debatten rund um Schweden? Der Journalist Jakob Augstein beispielsweise nutzte den schwedischen Sonderweg gerne, um deutsche Maßnahmen zu hinterfragen, als sei das deutsche Handeln, obwohl weltweit Konsens bei der Bekämpfung der Pandemie herrscht, Irrsinn. Wozu dieser Lockdown, heißt es immer wieder, die Schweden machen es anders! Bevor wir uns nun die Ergebnisse des schwedischen Wegs ansehen, möchte ich erwähnen: Der „deutsche Lockdown“ - das waren im internationalen Vergleich moderate Ausgangbeschränkungen, die Wirtschaft arbeitete zu achtzig Prozent weiter.
> Antworten - Ihre Meinung: E-Mail an Jagoda MarinicSehen wir uns also die Lage in Schweden zum jetzigen Stand an: Anders Tegnell, der Chef-Epidemiologe und Architekt des Schwedischen Wegs, räumt Fehler bei der Seuchenbekämpfung ein. In einem Interview wünscht er sich, strengere Maßnahmen getroffen zu haben, bekennt, es seien zu viele Menschen zu früh gestorben, die Infektionsraten seien weiterhin zu hoch. Schweden zählt viermal so viele Todesopfer wie die Nachbarländer Norwegen, Finnland und Dänemark. Die Zahl der Neuinfektionen in Schweden ist deutlich höher als die der anderen skandinavischen Länder zusammen.
Wer nach Schweden reist, müsste nach seiner Rückkehr laut neuester Vorschrift in Niedersachsen zum Beispiel in Quarantäne. Die schwedische Regierung möchte nun eine Image-Kampagne starten, weil das Ansehen Schwedens als fortschrittliches Land durch das Corona-Krisenmanagement international beschädigt wurde. Ich schreibe das nicht, um über Schweden zu spotten, Anders Tegnell ist ein seriöser Virologe, der teilweise auf Herdenimmunität setzen wollte. Er hat nichts von der Bräsigkeit eines Boris Johnson, er gesteht seine Fehler nun öffentlich ein und versucht, das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.
Der Vergleich nach jetzigem Stand sollte in Deutschland Beachtung finden, zeigt er doch: Deutschlands Chef-Virologen scheinen ihre Arbeit gut gemacht zu haben. Das schafft Vertrauen. Deutschland braucht keine Image-Kampagne, deutsche Minister sowie Expertinnen und Experten werden international befragt und gefeiert. Der aktuelle Stand sagt nichts über den weiteren Verlauf aus, aber manchmal wünsche ich mir, dieses Land wüsste auch seine Erfolge so zu schätzen, wie es seine Misserfolge zu kritisieren weiß. Bleiben Sie gesund!
Jagoda Marinic
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