Premiere - „Coro fantastico“ eröffnet die neue Heidelberger Musiktheater-Saison / Produktion punktet mit Qualität bei großer Vielfalt

Querbeet durch Stile und Zeiten

Von 
Eckhard Britsch
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Beeindruckender Chorgesang vor einfallsreichem Bühnenbild: Szene aus der Produktion „Coro fantastico“. © Reichardt

Es summt in Akkordbrechungen, dann halbtonartig höher, und so weiter. Wie damals im Schulchor, beim Training der pubertierenden Kehlen, allerdings kommt an diesem Ort noch eine erwartungsvolle Geräuschkulisse hinzu: Kurzum, die Premierenbesucher orientieren sich im Foyer des Stadttheaters Heidelberg, wo Choristen sich einsingen, und sie werden sortiert. Rote Kärtchen in den alten Saal, die anderen in den neuen. Die guten ins Töpfchen? Nein, es wird ein Wechselspiel inszeniert, so wie neulich im Elefantenhaus. Vor der Pause, nach der Pause, Platzwechsel dazwischen, einschließlich Blick in die Eingeweide des Theaterbetriebs. Und in der Pause „Der Mond ist aufgegangen“, mehrstimmig quer durch die am Sekt nuckelnde Besucherschar.

Zur Produktion des Heidelberger Theaters

  • Coro fantastico“ ist eine Produktion des Theaters der Stadt Heidelberg, in dem Foyer, Alter Saal und Marguerre-Saal sowohl wechselseitig als auch parallel bespielt werden.
  • Zum Stammchor des Hauses (einschließlich Extrachor) gesellen sich noch die „Hendsemer Krischer“ (Synonym für einen Stadtteilchor im gut situierten Norden Heidelbergs) und der Universitätschor, die eine bunte musikalische und szenische Show auf gutem Niveau bieten.
  • Die Konzeption dieses Mammutprojekts stammt von Tom Ryser (auch Regie), Operndirektorin Ulrike Schumann und Chordirektorin Ines Kaun, die auch die Premiere dirigierte.

„Coro fantastico“ heißt die recht originelle Produktion, mit der das Theater der Stadt Heidelberg seine musikalische Spielzeit eröffnet. Wie in einem Kaleidoskop sollen die schillernden Facetten des Bühnenlebens sich öffnen und dabei will das städtische Musikleben mit eingebunden werden. Denn Chor, Extrachor und Bewegungschor sind nicht genug in der selbst ernannten Liedstadt Heidelberg, weswegen die „Hendsemer Krischer“ (Sabine Dietenberger) und der Universitätschor (UMD Michael Sekulla) die vielfältigen Anforderungen komplettieren. „Nabucco“ im Alten Saal, Tannhäuser im Neuen, witzige „Freischütz“-Verschränkungen oder auch Rameaus schreitende Gemessenheit, verfeinert mit allerlei Garnituren der Arrangeure. Fantastisch, wie die Stimmen zusammenfinden. Ines Kaun, die den Premierenabend dirigiert, Regisseur und Stückmacher Tom Ryser, Operndirektorin Ulrike Schumann und deren Mannschaften haben ganze Arbeit geleistet. Im Panoptikum der Figuren wirken Choreografie, Szene und Kostüme, Licht und gut aufgelegtes Orchester interaktiv aufeinander ein.

Persiflage auf Castingsituation

Punktuelle Eindrücke: Ein Regisseur lümmelt auf seinem Stuhl, putzt gelangweilt seine Brille. Vorsingen ist angesagt, offensichtlich eine Strafe für den bedeutenden Mann, der über Wohl und Wehe der Kandidaten für eine Verpflichtung am Haus entscheidet. Wie im wirklichen Theaterleben? Natürlich nicht, denn so despektierlich würde sich nie ein Entscheider verhalten. Also Parodie? Klar doch, als solche gemeint, und die Figuren aus vieler Herren Länder geben sich alle Mühe, ihre Individualität ins beste Licht zu rücken, spielen mit Stimme und Aussehen, Pose und Koketterie. ,,Genug, der Nächste“, befindet der Macher-Macker nach wenigen Takten, und die herzlich belachte Szene bekommt einen bitteren Beigeschmack: Entscheiden wirklich ein paar Sekunden über Engagement und Karriere? Doch sehen wir es positiv und glauben daran, dass sich das System nur persifliert.

Die Chöre präsentieren ihre Flexibilität zwischen mittelalterlicher Mystik und Musical-Power, und das Orchester streicht als Quartett ebenso kompetent die Saiten wie in großer Besetzung, wenn es deutsche Werte wie die „Meistersinger“- Ouvertüre zu zelebrieren gilt. Erhebende Gefühle ebenso wie heiterer Spaß und viel fürs Auge. Bewegung immerfort, bunte Kostüme, ein bisschen Bühnenschnee und gelbe Regenschirme, dazu ein röhrender Hirsch oder ein Barock-Prospekt, der dann schräg über den Akteuren baumelt. Zwischendurch rattert der Eiserne Vorhang, doch keine Angst, das ist nur Spiel, zumal sich der Blick öffnet auf die Raffinesse der zentralen Bühne: Von beiden Sälen bespielbar, ohne sich gegenseitig zu stören. Und irgendwann vernehmen die Lokalpatrioten, dass sie ihr Herz in Heidelberg verloren hätten, und studentisches Leben sich im „Gaudeamus igitur“ manifestiert. Student Prince lässt grüßen und misst seine musikalische Wertigkeit an Beethovens hochherziger Ode an die Freude. Standhafter, herzlicher Beifall.