Bayreuther Festspiele

Mannheimer Axel Kober triumphiert auf dem Grünen Hügel

Von 
Stefan M Dettlinger
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Manche fallen aus dem Rahmen: vorne Venus (E. Gubanova von hinten) mit Oskar (M. Laudenbach), Tannhäuser (St.Gould), Le Gateau Chocolat (K. Patrick, hinten die Wartburggesellschaft. © Enrico Nawrath/Festspiele

Es dauert keine fünf Minuten, da ist er schon da, der Witz, den Tobias Kratzer dieser romantischen Oper injiziert: Zu Wagners betörend rauschender Eröffnungsmusik biegt auf einer Videosequenz der alte Citroën nicht weit von der Wartburg entfernt auf einen kleinen Waldweg ein, da wartet auch schon das Corona-Testzentrum am Wegesrand. Sex-Göttin Venus und der ihr verfallene Clown Heinrich Tannhäuser müssen sich Rachen- und Nasenabstrich machen lassen. Negativ. Erst dann brummt das Gefährt mit den Wilden, den Feinden vom Spießertum der Zugeknöpften und Gesitteten weiter. Die Szene setzt gleich ein Zeichen dafür, mit welch augenzwinkernder Respektlosigkeit sich Kratzer am hehren Ort dem hehren Werk des hehren Meisters nähert. Das tut gut.

Am Pult steht dabei der Mannheimer Axel Kober. Aus dem mystischen Abgrund zieht Großes empor. Wagner klingt erdig, warm und dennoch leuchtend transparent, die Bläser rein, die fast sphärisch herabpurzelnden Zweiergrüppchen in den Violinen glitzern, es atmet, dampft und riecht nach (deutschem) Wald, den Kratzer und sein Videoexperte Manuel Braun samt Wartburg auch rauschhaft zeigen. Fünf Stunden später wird Kober für sein Dirigat im Festspielhaus gefeiert werden. Ekstatisch.

Zurück zum Tannhäuser-Krimi. Unterwegs geht den vier Ausreißern - der Transvestit Le Gateau Chocolat (Kyle Patrick) und Oskar (Manni Laudenbach) aus Günter Grass’ „Blechtrommel“ sind auch dabei - Sprit, Geld und Energie aus. Einen Besuch bei Burger King, Benzinklau und Polizistenmord später landen sie beim Picknick im Wald, wo ein Gartenzwerg ihnen symbolisiert: Das ist der Feind. Das Urdeutsche. Das Spießige. Das Exklusive. Ausgrenzende. Standardisierte. Fremden- und Andersfeindliche. Die nicht hinterfragte Regel und Sitte.

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Das Menschliche im Zentrum

Kratzer macht das so gut, dass an der Oberfläche der Zeit alles wie im Flug an einem vorbeizieht und man es gern festhalten würde - das Gegenteil der Langeweile, die immer nach der Zukunft trachtet. Das zum einen. Dennoch verliert das Werk dabei aber nicht seine Tiefe, zeigt die unendliche Unerbittlichkeit, mit der der Mensch den Menschen bekämpft, wenn er anders denkt, lebt und ist. Unmöglich und unnötig, die ganze Armada an Gags aufzuzählen, die diesen leicht modifizierten Abend von 2019 so geistreich machen, so großartig und großmütig - man muss es einfach erleben. Der veritable Bayreuther Polizeieinsatz, der die Venus und Tannhäuser endlich aus dem Festspielhaus entfernen soll, sei dann aber doch erwähnt: Venus & Co wollten das Festspielhaus kapern, an das sie ein Transparent mit der Wagner-Parole angebracht hatten: „Frei im Wollen. Frei im Thun. Frei im Genießen.“

Das Menschliche steht hier dennoch im Zentrum. Es gibt da diesen Moment im dritten Akt, wenn im Prinzip das Meiste schon verhandelt ist. Intim. Ruhig. Und doch höchstbewegt, weil ein tiefmenschliches Tun Rührung bis hin zu Tränen in uns auslöst. Wagners Ouvertüre zum dritten Akt zieht ihre Linien, immer wieder lässt Kober die Zweierartikulationen sich vom Leisesten zum Lautesten schrauben. Elisabeth, die Nichte des Grafen, setzt sich plötzlich zum Underdog Oskar auf den schäbigen Boden. Um sie herum: ein Autofriedhof, alte Reifen, Düsternis, Hoffnungslosigkeit, deren einzige Verheißung sein wird, dass es einer von Ihnen, Le Gateau Chocolat, es zum Werbeträger für eine eigene edel glitzernde Uhrenmarke geschafft hat.

Wagner also rührt in Es-Dur. Alles am Boden. Und dann gibt Oskar Elisabeth einen Löffel seiner Dosensuppe ab, die er in seiner Blechtrommel auf einem Gaskocher erhitzt hat. Nein, das ist nicht von Wagner. In Wagners „Tannhäuser“ berühren sich die Welten nie, die der zügellosen Venus und von Elisabeths so verkrusteter wie verlogener Wartburggesellschaft. Hier schon, und einem Richard Wagner des 21. Jahrhunderts hätte diese Szene hoffentlich gefallen, weil sie das Unvereinbare vereint, weil sie inklusiv ist statt exklusiv, konstruktiv statt destruktiv, philantrop statt misanthrop. Man ist hier im Innern des Werks angekommen: beim Menschsein.

Maximum an Relevanz

All das geht bei aller Unterhaltung unter die Haut. Und wenn dann auch noch so musiziert und gesungen wird wie von Chor, Orchester sowie den Solisten, dann bietet die gute alte Oper das Maximum dessen, was sie rund 170 Jahre nach Ihrer Entstehung noch zu Relevanz führen kann. Am Ende der fünfstündigen Aufführung gab es viele Bravos, lautes Getrampel und Klatschen. Mit dem Orchester formte Kober einen sensiblen, im Piano und Pianissimo betörenden Klang, im Forte, etwa im Finale von Akt 2, entstand durchaus auch tumultische Qualität, und Kober bewältigte auch die Aufgabe der Koordination von Orchester und Solisten auf der Bühne mit dem im Chorsaal singenden Festspielchor von Eberhard Friedrich exzellent  Sängerisch überzeugten in erster Linie Lise Davidsen mit einer makellosen, kompakten und im Piano auch schlanken und dennoch durchdringenden Elisabeth, Günther Groissböck mit einem sensationell kernigen Landgraf Herrmann und der ehemalige Mannheimer „Wozzeck“ Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach. Auch die Venus von Ekaterina Gubanova war gut, bisweilen klang sie in der Höhe leicht übervibriert. Am wenigsten konnte Stephen Gould in der Titelpartie als Tannhäuser überzeugen. 

Zu Recht wird dieser „Tannhäuser“ lange und euphorisch gefeiert - im Mittelpunkt Axel Kober, das darf die Mannheimer und Metropolitaner ruhig ein bisschen stolz machen.