Lesen.Hören - Heike Geißler stellt ihr neues Buch „Die Woche“ in der Alten Feuerwache vor und spricht mit Gregor Sander darüber – Fabian Hinrichs liest daraus

Literatur mit Eigensinn: Heike Geißler stellt neues Buch vor

Von 
Thomas Groß
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Ihr neues Buch „Die Woche“ ist vor wenigen Tagen erschienen: Autorin Heike Geißler. © Heike Steinweg/ Suhrkamp Verlag

Wie soll man ein solches Buch vorstellen? Der Suhrkamp-Verlag hat Heike Geißlers soeben erschienene neue Veröffentlichung als Roman gekennzeichnet, aber das trifft auf „Die Woche“, so der Titel, allenfalls in einem sehr weit gefassten Sinne zu. „Plotverweigerin“ wurde die 1977 in der damaligen DDR geborene Schriftstellerin in einer Kritik genannt; sie selbst sagt in der Mannheimer Feuerwache, ihr Buch habe nicht eigentlich einen roten Faden.

Autobiographisches und im Familienkreis, vor allem mit den eigenen Kindern, Erlebtes wird mit fantastischen Elementen kombiniert. Figuren mit einer Entsprechung in der Wirklichkeit gibt es ebenso wie ein differenziert redendes „ungeborenes Kind“, Riesen, die ein Karussell betreiben, oder eine eigenwillige Personifikation des Todes – und dazu immer wieder essayistische Einschübe, die direkte Zitate von bekannteren oder weniger bekannten gesellschaftskritischen Autoren übernehmen, deutsche oder englischsprachige. Und Gedanken über Literatur und Schreiben finden hier ebenfalls einen Platz.

Radikal subjektiv ist „Die Woche“, gibt aber gleichwohl eine Analyse der politischen Gegenwart und ihrer Verwerfungen, welche die Ich-Erzählerin beunruhigen und zugleich tief erschöpfen. Die im Zuge der Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 erstarkte fremdenfeindliche Pegida-Bewegung bringt die in Leipzig lebende Ich-Erzählerin auf. Weil diese ihre Märsche immer montags veranstaltet, gewinnt dieser Wochentag, der ja auch in anderer Hinsicht seine Tücken hat, im Buch die Oberhand, verdrängt die anderen Tage mehr und mehr.

Wie bringt man ein solches Buch einem Publikum auf einem Literaturfest nahe, wie weckt man das Interesse daran? Bei Lesen.Hören in Mannheim wird dafür jedenfalls kein Aufwand gescheut. Das liegt daran, dass Programmleiterin Insa Wilke viel hält von der Autorin und ihrer Veröffentlichung. Es sei ein Buch, das einem Halt geben könne, sagt sie bei der Begrüßung und legt damit die Messlatte ziemlich hoch. Neben der Autorin sind Gregor Sander, ebenfalls Schriftsteller, als Moderator und mit Fabian Hinrichs ein Schauspieler erster Güte eingeladen, der Passagen aus dem Buch vorliest. Bevor er damit beginnt, ist aber zunächst Gespräch angesagt. Eine lockere Plauderei ist das und zieht sich in die Länge, was zu der Frage bringt, ob in dieser Veranstaltungsreihe nicht zuweilen Gespräche zwischen Autoren und Moderatoren zu sehr im Vordergrund stehen und die gelesene Literatur ins Hintertreffen gerät. Aber mehr und mehr tastet man sich doch zum Kern des Buches vor, und der nonchalante Fabian Hinrichs vermittelt ab der zweiten, längeren Passage auch schon viel von der Eigenart von Geißlers „Woche“. Dann erschließt sich auch, wieso die Veranstaltung den Titel „Proletarische Prinzesinnen“ trägt.

So nämlich kennzeichnen sich die Ich-Erzählerin und ihre Freundin Constanze, die sich im Buch rege miteinander austauschen. Nebenbei wirft der Titel ein Licht auf die Autorin Geißler, die sich durchaus ein Klassenbewusstsein bewahrt hat. In einem früheren Buch mit dem Titel „Saisonarbeit“ hat die zweifache Teilnehmerin am Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und mehrfach ausgezeichnete Autorin ihre Aushilfstätigkeit in einem Logistikzentrum von Amazon verarbeitet; apostrophiert wurde das Buch als „Reportage-Roman“.

Dass es in „Die Woche“ auch um Gentrifizierung und Mangel an bezahlbarem Wohnraum geht, lässt sich an diesem Abend allenfalls erahnen. Aber kenntlich wird doch Geißlers Sprachmächtigkeit; ihr Buch wirkt stellenweise geradewegs lyrisch, bietet zahllose eindrückliche Bilder und Metaphern auf – und viele zitierwürdige Wendungen. Gegen Ende liest Fabian Hinrichs auch diesen Satz: „Weltfrieden, der würde mein Herz beruhigen.“

Redaktion Kulturredakteur, zuständig für Literatur, Kunst und Film.

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