Auszeichnung - Ein Brennglas auf blinde Flecken

Künstlerinnen Lea Langenfelder und Sophie Lichtenberg gewinnen Mannheimer Helene Hecht-Preis

Von 
Markus Mertens
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Lea Langenfelder (l.) und Sophie Lichtenberg sind mit dem Helene Hecht-Preis 2021 ausgezeichnet worden. © Markus Mertens

Mannheim. Manchmal seien es nicht mehr als Nebensätze in Radioreportagen, die sich in ihren Arbeiten zu Rechercheprojekten verdichten, die präzise ausleuchten, was unzählige Menschen gar nicht hören wollen. Weil es unbequem erscheint, sperrig daherkommt - und in Wahrheit ein Brennglas auf blinde Flecken richtet, die kaum offensichtlich Fragen aufwerfen, die bei bewusster Näherung plötzlich ganz laut werden. Lea Langenfelder und Sophie Lichtenberg haben sich dieses Verfahren für ihr gemeinsames Projekt auf so herausragende Art und Weise zu eigen gemacht, dass sie für ihren Mut jüngst mit dem Helene Hecht-Preis gekürt wurden - jener Auszeichnung, die an eine der bedeutendsten Salonnièren der Stadt erinnert.

Dabei sind auch Lichtenberg und Langenfelder in Mannheim längst keine Unbekannten mehr. Seit Jahren wirken die beiden Künstlerinnen aktiv an den Produktionen des Theaterperformance-Kollektivs Rampig mit, verwirklichen sich in Inszenierungen des Stadtensembles am Nationaltheater und bespielen auch in eigenen, freien Arbeiten Räume der Stadt.

Helene Hecht-Preis

Der Preis wird in Erinnerung an die Mäzenin Helene Hecht verliehen, die 1940 auf der Deportation nach Gurs verstarb. Hecht leitete in Mannheim einen der größten Salons, galt als außerordentlich gebildet und setzte sich für die Belange der Kultur ein.

Der Preis, der seit 2019 von Soroptimist International Rhein-Neckar sowie dem Inner Wheel Förderkreis Mannheim vergeben wird, hatte in diesem Jahr die Schwerpunkte „Theater/Performing Arts/Darstellende Kunst".

Den Hauptpreis erhielten Lea Langenfelder und Sophie Lichtenberg für ihr Projekt Langenfelder & Lichtenberg, mit dem Nachwuchspreis wurde Julla Kroner ausgezeichnet.

Die Theaterwissenschaftlerin Lea Langenfelder, 1993 in Heidelberg geboren, und die 1989 in Hamburg geborene Szenografin Sophie Lichtenberg untersuchen in „Kinder der Olympe“ und „Preenacting Reenactments“ gesellschaftliche Fragen mit Mitteln aus Ausstellung, Performance und Installation

Die Dringlichkeit einer konkreten Zusammenarbeit, so erfährt man in einem Gespräch im Unteren Luisenpark, habe sich 2016 in Karlsruhe ergeben. Lichtenberg stand in ihrem Studium unmittelbar vor der Diplomarbeit, man trank gemeinsam Wein - und entwickelte die Idee eines Projekts, das sich durch Recherche und Interviews so umfassend mit einem bedeutenden Phänomen befasst, dass sich das Resultat durch eine ganz eigene Mischung aus Text und Performance, Installation und Ausstellung quasi selbst mitteilt. Geprägt von ihrer eigenen künstlerischen Sozialisation, ist den Produktionen das Ansinnen eines immersiven Ortes als Erlebnisraum sozusagen eingeschrieben, wenngleich die Anforderung den Schwierigkeitsgrad messbar erhöhte.

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Ralf-Carl Langhals
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„Lassen uns von Themen finden“

Ohnedies ist der Zugriff von „Langenfelder & Lichtenberg“, wie sich die beiden jungen Frauen gemeinsam nennen, ein sehr spezieller. Einerseits, weil sie sich Mechanismen wie inhaltlicher Eile, leichter Zugänglichkeit und Erwartungshaltungen konsequent widersetzen. Andererseits, weil die Leitlinien ihrer Arbeiten keineswegs immer klar und sortiert vor dem Duo liegen. „Wir lassen uns von den Themen finden“, wie Lea Langenfelder im Gespräch klarstellt - und sich dabei noch sehr gut an ein scheinbar beiläufiges Gespräch mit einem Mann in einer Bar erinnert, der ihr mitteilte, er spiele seit Jahren bei Übungen der Bundeswehr den Terroristen. Die daraus entstandene künstlerische Forschungsarbeit „Preenacting Reenactments“ vermisst dabei nicht nur das Verhältnis zwischen Ruhm und Fiktion bei der Bundeswehr, sondern dokumentiert auch ganz eindrücklich, wie sich auf dem Truppenübungsplatz in Hammelburg Ernst und Spiel in beängstigend realen Kriegsszenarien miteinander vermengen. Dass der Aufwand für Projekte dieser Art von einem einwöchigen Training, mit dem sonst Journalisten auf ihren Einsatz in Krisengebieten vorbereitet werden, bis hin zu erklärenden Gesprächen im Verteidigungsministerium reichen, nehmen die künstlerischen Köpfe dabei bereitwillig in Kauf. Denn nur so formen sich aus ganzen Fragekatalogen, die am Anfang einer jeden Überlegung stehen, durch dutzende Interviews immer klarere Konturen, die Bestand haben und das Staunen lehren. Ausgezeichnet wurde hier also explizit nicht nur das Ergebnis der künstlerischen Arbeit zweier Frauen, die sich wagen, Einblicke in bisweilen Schockierendes zu gestatten, ohne dabei Denkrichtungen vorzugeben - es geht ausdrücklich um das Hinsehen in Randbereiche, die vielleicht gerade durch ihre Verfahrenheit erzählenswert sind.

So wie das Phänomen des sogenannten Schwangerschaftsdopings, das - nicht nur, aber auch - in der DDR Athletinnen abverlangt worden sein soll, um Leistungen durch Hormone messbar zu optimieren. Die daraus entstandene Arbeit „Kinder der Olympe“, die erst im September in einem Mannheimer Ladengeschäft zu sehen war, spiegelt den vermuteten Skandal als Kombination aus Darstellender Kunst, Zitat und offener Fragestellung, die eine weitere Debatte nicht nur ermöglicht, sondern konkret beabsichtigt - und implizit sogar einfordert.

Unbeirrt von Gegenwind

Dass den Macherinnen von der AfD, Pro-Life-Aktivisten, aber auch sonstigen konservativen Kräften mächtig Gegenwind für Arbeiten dieser Art entgegenweht, beirrt Lea Langenfelder und Sophie Lichtenberg mitnichten. Denn auch, wenn ihre zwei fordernden Projekte fünf Jahre in Anspruch genommen haben, ziehen die beiden „eine große Energie und Freude“ aus den Prozessen, die sie - mit Bedacht und ganz in ihrem Tempo - auch für künftige Projekte nach der Auszeichnung motiviert: „Wir haben den Auftrag verstanden und wir werden ihn wahrnehmen.“ Eine Ankündigung, über die man sich freuen sollte.

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