Geburtstag - Dramaturg Eberhard Streul hat in Mannheim bleibende Spuren hinterlassen – auch mit 80 will er nicht von der Bühne lassen

„Ich kann eben nicht anders!“

Von 
Markus Mertens
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Wagemutig als Theatermann im Umgang mit Stoffen, demütig als Person – dafür steht Eberhard Streul. © Manfred Rinderspacher

Eberhard Streul ist gerade von der Ostsee wieder zurück nach Mannheim gezogen, als wir den Regisseur in seiner Wohnung zum Gedankenaustausch treffen. Die Monteure und Handwerker sind in der frisch bezogenen Wohnung noch mitten am Werk, doch mit Entstehungsprozessen und dem Werden der großen Künste kennt sich der Mann, der an diesem Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, freilich aus. Die 60 Minuten zwischen Wohnzimmer und schmuckem Vorgarten werden so zu einer Retrospektive im Schnelldurchlauf – doch einer, die ihren Reiz auch nach acht Dekaden Lebenserfahrung keineswegs eingebüßt hat.

Denn wenn Streul von seiner Zeit an der Staatsoper Berlin berichtet, lauscht man Anekdoten, wie sie heute nur noch wenige große Bühnenlenker auszudrücken verstehen. Und das nicht alleine, weil Streul sich in der DDR von Granden wie Götz Friedrich und Walter Felsenstein prägen ließ – sondern, weil der heutige Routinier eine Biografie zwischen inhaltlich engagiertem Theater und politischer Einflussnahme beschreibt. Als Streul 1969 mit der Dresdner Landesbühne seine „Tosca“ präsentiert und die Bühne zu klein ist, um die Protagonistin von der Engelsburg zu stürzen, lässt er seine Heldin schlichtweg erschießen – ein Skandal, der ihm die Stasi ins Haus brachte.

Neues Genre des Musiktheaters

Als die 1970er Jahre und mit ihnen die Biermann-Affäre für Furore sorgten, reicht es Eberhard Streul dann endgültig und er nutzt ein Gastspiel in Wuppertal, um in der BRD zu bleiben. Verunglimpfung und Schande inklusive. Kritisch hält er noch heute fest: „Ich wollte einfach keine Hymnen auf die Partei singen.“ So also spricht ein aufrechter Mann, der stofflich schon immer Wagemut bewies, in seinen Stücken genau wusste, was er zu sagen hatte, als Person dabei jedoch stets demütig blieb.

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Eine unschlagbare Kombination, die wenige Jahre später bereits in Mannheim für anhaltende Anerkennung sorgen sollte. Denn über Stationen in Kaiserslautern und Essen hört der damalige Generalmusikdirektor Wolfgang Rennert vom einzigartigen Erfolg der „Zauberflöte“ für Kinder, holt Streul als Operndramaturgen in die Quadratestadt – und eröffnet so den Raum für ein letztlich neues Genre des Musiktheaters. Der Innovator Streul schafft Produktionen, die über Jahrzehnte gezeigt, mit Preisen gekrönt werden – und teilweise von Bühnen weltweit nachgespielt werden. Mit Ironie, Witz und dem immerwährenden subtilen Charme, dass Streul selbst dem finstersten Ernst noch ein heiteres Lächeln abgewinnen kann.

Dass der Ruhm Eberhard Streul nicht verderben konnte und dem großen Denker auch keineswegs die Lust nahm, immer neue Stoffe zu entwickeln, hat ihn am Leben gehalten, lässt er im persönlichen Gespräch wissen. Allein Mozarts „Così fan tutte“ noch einmal zu inszenieren – der Wunsch ist ihm bislang verwehrt geblieben. Und dennoch blickt man mit großem Respekt auf das Schaffenswerk einer Person, die ihre Professur mit der Fernsehredaktion, das Autorendasein mit der Rolle als Regisseur und den Planer mit dem detailgetreuen Dramaturgen nahezu bruchlos vereint. Wie ihm das wohl fortwährend gelänge, fragen wir das Geburtstagskind – und bekommen einen Satz zur Antwort, den fast schon als klassischen Streul beschreiben könnte: „Ich kann eben nicht anders!“

Als wäre all das quasi nicht genug, sollte keine Würdigung dieses Theatermannes die Gründung seiner Mannheimer Musikbühne vergessen, die sich seit 1989 mit Klassikern wie „Rotkäppchen“, „Schneewittchen“ und „Zwerg Nase“ fest auf die Fahnen geschrieben hat, Märchen auf höchstem Niveau für junge Menschen zu zeigen, deren Neugier bei all der Digitalisierung erst einmal gewonnen werden will. „Wir zeigen unseren Zuschauern alles – was in der Gesellschaft grauenhaft schiefläuft und was unbedingt so bleiben soll. Anspruchsvoll, spannend und das auch noch mit echten Menschen. Das kann Ihnen kein Stream bieten!“ Sagt einer, dessen Werk auch mit 80 nicht auserzählt ist und der auch für seine ganz persönliche Zukunft verstanden wissen will: „Ein Leben ohne die Bühne kann ich mir einfach nicht vorstellen.“

Freier Autor