Streaming ist in Zeiten der Corona-Krise angesagt wie noch nie. Die Kinos sind geschlossen, ebenso die Clubs, Theater, Konzertsäle und Musikarenen. Das Netz ist nun für Unterhaltung zuständig. Es gibt kaum eine Art von Produktion, die sich im Internet nicht findet. Besucht man die einschlägigen, sattsam bekannten Seiten, ob Netflix oder Amazon Prime, Sky, Apple TV oder, seit 24. März Disney Plus, bekommt man via Algorithmus ermittelte Empfehlungen: „The Valhalla Murders“, „Freud“, „The Mandalorian“„ ZeroZeroZero“…
Alternative Streamingportale
- alleskino (alleskino.de). Einzelabruf: ab 1 Euro; Filmclub: 4,99 Euro/Monat. Tipp: „Berlin Bouncer“ von David Dietl.
- Bundeszentrale für politische Bildung (bpb.de). Kostenlos. Tipp: „Die Arier“ von Mo Asumang.
- Festivalscope (festivalscope.com). Je nach Angebot ab 2 Euro; teilweise kostenlos. Tipp: „Jeanne d’Arc“ von Bruno Dumont.
- Flimmit (flimmit.com). 7,50 Euro/Monat; 19,90 Euro/drei Monate; 75 Euro/Jahr. Tipp: „Geschichten aus dem Wienerwald“, Maximilian Schell.
- Mubi (mubi.com). 5,99 Euro/Monat. 47,88 Euro/Jahr. Erster Monat kostenlos. Tipp: „Toni Erdmann“ von Maren Ade.
- Realeyz (amazon.de). 5,50 Euro/Monat nach Gratiszeitraum. Tipp: „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“ von Harun Farocki.
- Spuul (spuul.com). 72 Std. Pay per view ab 2,29 Euro; Monat ab 4,99 Euro. Tipp: „Vom Herzen …“ v. Mani Ratnam.
- Trigon-Film (trigon-film.org). 6 € pro Film; Monatsabonnement ab 7,50 Euro. Tipp: „So Long, My Son“ von Wang Xiaoshuai.
Überaus bequem, zumal die Trefferquote in Sachen Tipps - Stichwort: Datenschutz - erschreckend hoch ist. Hinzu kommt, dass die verschiedenen Anbieter bevorzugt ihre Premiumprodukte, „Game of Thrones“, „Breaking Bad“, „The Walking Dead“, „Das Boot“ und ähnliches pushen - teure, gerne mit hochkarätigen Darstellern besetzte Premiumware, die die Kunden über Jahre als Abonnenten binden soll.
Warum nicht mal einen anderen Weg einschlagen, etwa bei Mubi, wo man für „handverlesenes Kino“ wirbt. Filmfreaks werden aus einer wechselnden Sammlung bedient, man setzt auf Klasse statt Masse. Neben Kult- und Independent-Filmen gibt’s Meilensteine, etwa „Fargo - Blutiger Schnee“ von Joel und Ethan Coen, Fatih Akins „Gegen die Wand“ oder David Lynchs „Blue Velvet“. Die Auswahl trifft eine Redaktion, die den Blog „Mubi Notebook“ verantwortet, bestückt mit News, Interviews, Kolumnen und Essays, dabei einer zur „Metaphysik des Sitzens“.
Flimmit heißt die Plattform des Österreichischen Rundfunks (ORF). Auf heimischen Produktionen liegt der Fokus. Publikumsliebling Ursula Strauss löst auf ureigene Art in „Schnell ermittelt“ ihre Fälle, ihr legendärer Wiener Kollege „Kottan“ ist unterwegs und natürlich auch Josef Hader als geplagter Ex-„Kieberer“ Brenner, (Anti-)Held der Krimivorlagen von Wolf Haas. Auch empfehlenswert: Die Reihe „Der österreichische Film“, ein Streifzug durch die Zelluloidgeschichte des Landes.
Festival ohne Schlangestehen
Auf Flimmit sind noch bis zum 24. April 40 Filme aller Längen und Genres des renommierten Grazer Filmfestivals Diagonale zu sehen. Kurzerhand hat man beschlossen, die abgesagte Filmschau online abzuhalten. Festivalatmosphäre im eigenen Wohnzimmer, ohne Hektik, Stress und Schlangestehen, das bietet rund ums Jahr Festivalscope. Hier sind Filme - gelegentlich gesamte Wettbewerbe - abrufbar, die auf Festivals laufen, von Rotterdam über Cannes und Venedig bis Toronto und New York - teils gebührenfrei.
Wer sich Geld sparen will, ist hier gut aufgehoben. Wie bei den diversen Mediatheken, darunter die von arte, ARD, ZDF oder Joyn von ProSiebenSat 1 Media und Discovery, der obendrein das Video-on-Demand-Portal Maxdome betreibt. Das letztgenannte Joint Venture, gleichermaßen mit kostenpflichtigem wie kostenlosem Programm, ist eher Jugend-affin ausgerichtet und bietet 67 TV-Sender an, inklusive Eurosport 1 - der Eurosport Player soll Mitte 2020 integriert werden - und Sport 1.
Eine echte Alternative ist der Netzauftritt der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Dokumentarfilme, Dokumentationen, Fernsehproduktionen … Die behandelten Themen sind divers: Geschichte und Erinnerung, Kriminalität, Bildung, Umwelt, Integration, Sicherheit, Extremismus et cetera. In Zeiten geschlossener Schulen bestes Beschäftigungs- und Bildungsprogramm, siehe „Der Jungfrauenwahn“, ein Dokumentarfilm von Güner Balci um das Verhältnis des Islams zur Sexualität.
Wer das Weltkino schätzt, sollte Trigon-Film nutzen. Die Schweizer Filmstiftung bringt seit 1986 sorgfältig ausgewählte Filme aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Osteuropa im Kino, auf DVD und als Stream heraus und setzt sich obendrein für Filmschaffende ein. Auf große Namen wie Theo Angelopoulos oder Yasujirô Ozu stößt man hier, aktuelle Highlights sind der syrische Dokumentarfilm „Für Sama“, der Debütfilm „You Will Die at 20“ des Sudanesen Amjad Abu Alala oder „Ema y Gaston“ des Chilenen Pablo Larraín.
Für den unabhängigen Film macht sich die Realeyz - ein Erweiterungskanal von Amazon Prime - aus Berlin stark. Geboten wird „hartes Genre und l’art pour l’art, Graffiti und Stillleben, Mumblecore und Cinéma verité“, während die Online-Videothek alleskino auf den deutschen Film mit Frank Beyer („Spur der Steine“), Wim Wenders („Alice in den Städten“), May Spils („Zur Sache Schätzchen“) respektive Rudolf Thome („Berlin Chamissoplatz“) setzt und die französische LaCinetek Klassiker des 20. Jahrhunderts offeriert.
Die Möglichkeit, sich Kunst und Kommerz nach Hause zu holen, ist fast unbegrenzt. Zig weitere Adressen birgt das Netz, ob nun Filmfriend oder Dekkoo, wo man sich auf queere Arbeiten spezialisiert hat, Docsville, vormals Yaddo, oder Spuul, ein bonbonbunter Bollywood-Spezialist, bei dem der indische Superstar Shah Rukh Khan seine (nicht nur) weiblichen Fans in ekstatische Verzückung versetzt. Wer die Wahl hat …