Klassik - Isabelle Faust und Philippe Herreweghe bei BASF

Große Freiheit der Gefühle

Von 
Alfred Huber
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So anmutig und leichtfüßig, wie sie im Ludwigshafener Feierabendhaus der BASF über die Konzertbühne eilt, spielt Isabelle Faust das Violinkonzert von Johannes Brahms zum Glück nicht. Bereits zu Beginn, wenn sie vom Orchester die präzise vorbereitete Attacke übernimmt und den aberwitzig schweren Forte-Einsatz grandios bewältigt, ahnt man, dass sie und das Orchestre des Champs-Élysées unter Philippe Herreweghe keinen Ausflug zu schwelgenden Sehnsuchtstönen geplant haben. Obwohl es die gibt. Und zwar immer dort, wo Isabelle Faust berührend Schmerzliches und einen geschärft expressiven Ausdruck eng zusammenführt. Etwa im Anschluss an die 1913 geschriebene eigenwillige Busoni-Kadenz (mit Pauke).

Gelegentlich vermisst man ein wenig den großen ausufernden Ton einer glutvoll dramatischen Emphase, die ja keineswegs im lastenden Pathos verharren muss. Das verhindert schon Herreweghe, eigentlich Spezialist für Alte Musik, der mit seinen formenden zuckenden Handbewegungen offenlegt, was sich unter dem typischen Brahms-Sound an kleinteiligen Strukturen verbirgt. So entstehen atmende Klangräume, die dem schlanken Ton und der von Isabelle Faust angestrebten Transparenz fantastisch entgegenkommen.

Fulminanter Energiestrom

Robert Schumann hatte 1844 einen Nervenzusammenbruch, von dem er sich nur langsam erholte. In diese Zeit fällt die Entstehung seiner zweiten Sinfonie. Ihre düstere Einleitung und das gefühlstiefe Adagio erinnern an die schwere Erkrankung und erzählen von dem Versuch, sich anschließend künstlerisch neu zu orientieren. Kompositorisch ist daraus eine schubweise Entwicklung zwischen Schatten und Licht geworden, die Herreweghe aber offenkundig wenig interessiert. Dafür entfalten er und das Pariser Orchester in den weiteren Sätzen eine wunderbar vitale bis einfühlsame Haltung zur Musik Schumanns. Von ihr profitiert auch das großartig in Szene gesetzte Perpetuum-mobile-Scherzo, ein fulminanter und dennoch gefährdeter Energiestrom, der sich überstürzt ins Ziel- und Haltlose zu retten scheint.

Freier Autor Geboren 1941, Studium Musikheorie/Musikwissenschaft, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte in Mannheim und Heidelberg Volontariat Mannheimer Morgen, Redakteur, anschließend freier Journalist und Dozent in verschiedenen Bereichen der Erwachsenenbildung. Ab 1993 stellvertretender Ressortleiter Kultur, ab 2004 bis zur Pensionierung Kultur-Ressortleiter.

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