"Dorian" am NTM

Getanzte Satire auf den Kunstbetrieb

Von 
Sibylle Dornseiff
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Im einen Moment angehimmelt, im nächsten ein Nichts: Emma Kate Tilson als "Diva". © Hans Jörg Michel

Mannheim. Bei der Vernissage im Museum wird das Werk „Opera de Diva“, in dem sich die Künstlerin Diva in von klassischer Musik begleiteten Videoinstallationen (Valeria Lampadova) selbst inszeniert, von allen gefeiert. Von der Museumskuratorin über die Wächter, die Führerinnen bis hin zu den Besuchern – alle sind restlos begeistert. Hingegen findet „Die subtile Kunst des …“, eine in einen elektronischen Klangteppich gehüllte Soundinstallation von themanyoumaynotknow (dermanndenduvielleichtnichtkennst) kaum Beachtung. Auch die „Kritische Masse“ fristet ein Nischendasein. Doch dann wendet sich das Blatt. Eben noch von einer weiblichen Followerin (Saori Ando) geradezu orgiastisch angehimmelt, wird die Diva plötzlich zum Nichts. Plötzlich gilt alle Aufmerksamkeit nur noch einer Erscheinung, die in an Körperpainting erinnernden Hosen (Kostüm Min Li) wie ein Gewitter hereinbricht und mit Techno das ganze Museum in Ekstase versetzt. Auch wenn der Hype um die Modeerscheinung bald verschwindet, so hinterlässt er substanzielle Fragen: Was ist Kunst? Was ist gute und schlechte Kunst? Wie weit darf und soll ein Künstler sich selbst verbiegen, um allgemeinen Gefallen zu finden? themanyoumaynotknow jedenfalls erliegt nur kurz der Versuchung, bleibt sich letztendlich aber treu.

"Dorian" am NTM

  • Felix Landerer war sieben Jahre Tänzer bei NTM-Ballettdirektor Stephan Thoss in Kiel und Hannover, ist seit 2006 selbständiger und mehrfach preisgekrönter Choreograf.
  • Sein am Nationaltheater uraufgeführtes Tanzstück „Dorian“ wurde von Oscar Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ inspiriert und behandelt Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Kunst und ihrer Rezeption. Die Musik stammt von Christof Littmann.
  • Weitere Vorstellungen: 28. November, 2., 10. Januar 2020 (19.30 Uhr). Karten: Tel. 0621/1680 150; www.nationaltheater-mannheim.de. sd

Soweit der rote Faden, der sich durch „Dorian“ zieht, ein Tanzstück von Felix Landerer um von Oscar Wilde in seinem Roman “Das Bildnis des Dorian Gray“ aufgeworfene kunsttheoretische Fragen. Im Opernhaus des Mannheimer Nationaltheaters wurde die Uraufführung einerseits bejubelt, aber auch mit Befremdung aufgenommen. Jedenfalls bot sie reichlich Möglichkeit zur Diskussion. Und Nachdenken über das Gesehene – das vielleicht hehrste Ziel von Kunst.

Felix Landerer ist es zudem wichtig, dass sich das Theaterpublikum in sein Stück hineinziehen lässt. Dass es sensibilisiert wird, sich als Rezipient und damit auch als Teil des Kunstbetriebes zu verstehen. So stellt er von der "öffentlichen Meinung" geforderte Postulate wie „Der Künstler ist der Schöpfer schöner Dinge“, oder „Kunst muss schön sein“ immer wieder auf den Prüfstand. Herausgekommen sind für ein Ballett-Ensemble ungewöhnliche, nichtsdestoweniger sehr spannende neunzig Minuten. Ungewöhnlich, weil Landerer mehr als ein Tanzstück choreografiert hat, sondern es dramatisch inszenierte, indem er seinen Protagonisten Sprechrollen gab. Auf diese Weise gelingt ihm die Brücke zwischen Wildes kunsttheoretischen Formulierungen und ihrer Übersetzung in Tanzsprache, ihrer Veranschaulichung auf der Bühne.

Die besteht aus sechs riesigen (Video-)Wänden, einer breiten Treppe und einigen Bänken. Dazwischen entspinnt sich eine Satire auf den Kunstbetrieb, der es weder an boshaften und bitteren Seitenhieben, noch an Humor mangelt. Die Hauptakteure sind keine Individuen, sondern klischeehafte Symbole: Eine willfährige Kuratorin (Alexandra Chloe Samion), eine unumstößliche öffentliche Meinung (Andrew Wright), eine enthusiastische Museumsführerin (Chiara del Borgo), eine distanzierte kritische Masse (Jamal Callender), gelangweilte Wächter sowie wetterwendische Follower und Besucher. Die Diva (Emma Kate Tilson) ergibt sich ihrem Schicksal, nach ihrem Sturz vom Podest ein Nobody zu sein, dem lauten Künstler (Joris Bergmans) genügt der kurze Hype. Allein der mit sich ringende Lorenzo Angelini hat als themanyoumaynotknow tatsächlich menschliche Züge.

Zur Musik von Christof Littmann, die grob unterteilt werden kann in klassikorientiert, elektronisch und Techno, hat Felix Landerer eine ganz eigene, sehr passende Tanzsprache gefunden, die mit klassischem Ballett nichts zu tun hat. Es gibt keine geraden Körperlinienlinien, dafür scheinen Worte und Argumente wie Wellen den Leib zu durchlaufen. Die Anlehnungen an Jazz-, Breakdance und Hip Hop sind unverkennbar. Das 17-köpfige Ensemble von NTM-Ballettdirektor Stephan Thoss nimmt diese auch physisch anspruchsvollen Hürden mit bravouröser Intensität.

Freie Autorin Spezialgebiete Sport und Kultur:Sport: Turnen, Tanzen, Leichtathletik, Kanu, Eiskunstlauf, Short-Track, Curling, Judo, Triathlon, Rope Skipping, Turf, Reiten, Volleyball.Kultur: Theater/Schauspiel, Tanz, Ballett

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