Von den Übermalungen des 19. Jahrhunderts will der Regisseur das Stück befreien. Von der fast romantischen Verklärung seines Helden zum Champagnertrinker und geschmeidigen Verführer. Don Giovanni dringe vielmehr immer wieder in die Sphäre amoralischer Gewalt vor, findet Markus Dietze, Intendant des Koblenzer Theaters. Was ja keine völlig neue Einsicht ist.
Aber modern ist Mozarts und Da Pontes Oper – Dietzes Inszenierung hat beim Mozartfest in Schwetzingen ihre Premiere – trotzdem nach wie vor. Der Titelheld vertritt sein „Business as usual“: Der (Verführ-) Betrieb muss weiterlaufen. Das ist wie in der modernen Wirtschaft. Mögen die erotischen Quartalszahlen auch leicht geschönt und die Gesamtbilanz mit den 2065 Übergriffen gleichfalls etwas hoch gegriffen scheinen. „Whistleblower“ Leporello macht sie öffentlich, auf einer allerdings noch analogen Liste aus Papier, die er Donna Elvira um den Hals hängt. Danielle Rohr verkörpert die Elvira freilich fordernd und dynamisch. Wie ein Opfer aus den Zeiten von MeToo: längst nicht mehr wehrlos.
Schlichtes Bühnenbild
Doch gemach, der Regisseur ist nicht der Mann, der Opern-Konventionen einfach in die Luft sprengt – Intendanten neigen nicht zum Extremismus. Markus Dietze denkt sich einiges, aber er streicht nicht alles davon grell heraus. Die Inszenierung ist kein großer Wurf, aber ein guter, sorgfältig geprobter Kompromiss. In diese Richtung deutet auch Antonia Mautner Markhofs Bühnenbild, das eher schlicht und klassisch anmutet mit seinen variablen Stellwänden und Türen. Sie verschwinden im Verlauf der Handlung immer mehr und man erkennt, was hinter ihnen liegt: nichts als das große Nichts, das auf den Titelhelden wartet.
Don Giovanni ist ein Stoiker und Zyniker, der weiß, dass seine Zeit längst abgelaufen ist. Bisweilen steht er reglos da wie jene Marmorstatue, die ihn schließlich in den Orkus stoßen wird. Seine Champagner-Arie singt er aus dem Hintergrund, sie dürfte durchaus etwas stärker prickeln. Aber Christoph Plessers ist ein drahtiger Don Giovanni, auch wenn er erst ganz am Schluss zu voller Form aufläuft – und mit sportivem Anlauf in die (Höllen-) Grube fährt.
Die Zukunft scheint dem Weichling Don Ottavio zu gehören, Stefan Cifolelli jedenfalls macht seine Ansprüche mit suggestiver, sanfter Stimmmacht geltend. Oder gar dem wehleidigen Tropf Masetto (Peter Rembold). Und in jedem Fall dem Dienstleistungs-Experten Leporello, der sich nach dem Tod von Don Giovanni in der nächsten Schänke einen neuen Arbeitgeber sucht. So gibt ihn Nico Wouterse in dieser Inszenierung auch: immer flexibel.
Während Markus Dietze eine Donna Anna zeigt, die sich als Opfer ziemlich gern zu opfern scheint. Denn Hana Lee schimpft Don Giovanni zwar „Verbrecher“, aber hängt dabei an seinen Lippen fest. An solchen Stellen hat die Inszenierung einen scharfen Blick. Auch das Orchester unter Yura Yang fahndet nach satten Farbwerten und wuchtigen Akzenten. Manchmal wird es fast zu laut im Rokokotheater.