Gastbeitrag

Die Grünen ruinieren die deutsche Wirtschaft? Das ist falsch!

Für den Mannheimer Philosophie-Professor Bernward Gesang ignoriert der Wahlkampf das grüne Wachstum und die dringende Klimafrage.

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Bernward Gesang
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ARCHIV - 11.01.2025, USA, Los Angeles: Feuerwehrleute beobachten, wie Löschwasser auf das Palisades-Feuer im Mandeville Canyon Angeles geworfen wird. (zu dpa: «Meiste Staaten reißen Frist für neue Klimapläne - auch EU») © Jae C. Hong/AP/dpa

Der Wahlkampf tobt, aber die entscheidende Frage wird kaum debattiert. So zuletzt beim Kandidatenduell im ersten deutschen Fernsehen, bei dem der Kanzlerkandidat Robert Habeck nicht beteiligt war, obwohl er in Umfragen fast gleichauf mit dem Bundeskanzler liegt. Es wurde im Duell und wird in der Gesellschaft viel über Migration gesprochen und über Wachstum. Aber die viel wichtigere Frage nach dem grünen Wachstum und dem Klimaschutz wird nicht ernsthaft gestellt. Auch wenn Attentate uns immer wieder Angst machen und einfach schrecklich sind, ist Angst ein schlechter Ratgeber: Neben der Angst müssen auch Zahlen beachtet werden: Migration bedeutet vielleicht einige 100 Tote (zu viel) durch Attentate. Klimawandel heißt mindestens einige 100 Millionen Tote durch Wetterextreme. Die Frage des Klimawandels geht gewollt unter. Den Klimawandel stellt man strategisch derzeit besser in den Keller, denn er ist nicht öffentlich vorzeigbar. So schon im US-Wahlkampf. Aber die Natur kümmert das nicht. Ebenso wenig wie sie Schlagzeilen kümmern, dass der Klimawandel nach der letzten Europawahl abgewählt worden wäre. Fakten zu ignorieren, ist nur begrenzte Zeit möglich. Dann schlagen sie zurück und das umso brutaler, weil man die Zeit verplempert hat, sich darauf vorzubereiten.

Habeck verteidigt grünes Wirtschaftswachstum energisch

Die CDU und offenbar die Mehrheit der Wähler gibt Wirtschaftsminister Robert Habeck die Schuld an der spürbaren wirtschaftlichen Misere. Der könnte aber zu Recht kontern: „Jetzt versuchen wir drei Jahre lang ein grünes Wachstum zu starten. Die Bedingungen dafür waren ungünstig, weil wir nicht voll loslegen konnten, sondern uns der Schuldenbremse und der FDP anpassen mussten. Zusätzlich mussten wir Geld in die Coronabekämpfung und den Ukraine-Krieg stecken. Zudem mussten wir die Energieversorgung von russischem Gas unabhängig machen. Das wurde zuvor versäumt, gelinde gesagt. Dafür haben wir viel erreicht. Der Ausbau der Erneuerbaren ist nach dem neuesten Gutachten des Expertenrates für Klimaschutz auf dem richtigen Weg, aber besonders der Verkehrssektor schwächelt, für den Wissing verantwortlich ist. Neue Arbeitsplätze entstehen, aber das braucht Zeit. Wir sprechen vom größten wirtschaftlichen Umbau aller Zeiten, immerhin.“

Gleichwohl ist grünes Wachstum der einzig mögliche Weg, um der Endlichkeit unserer Ressourcen und dem Klimawandel, kurzum der Stimme der Wissenschaft, Eingang in die Wirtschaft zu verschaffen. Eine theoretisch mögliche „Postwachstumsökonomie“, die ganz auf Wachstum verzichtet, ist ein zu großes Wagnis. Das fordert keine Partei. Will man nun mit der CDU, der FDP und der AFD zurückgehen? Will man nach drei Jahren die Wirtschaft wieder so umbauen, dass sie notwendig in einigen Jahren am Klimawandel scheitern muss? Erst hüh, dann hott? Wobei dieses Hott jetzt richtig Geld kostet, was Trump gerade bemerkt. Und dann gibt es in fünf Jahren keine Option mehr, denn man hat den richtigen Zeitpunkt endgültig verpennt und steht sprichwörtlich auf dem Schlauch. Oder will man den, der Wissenschaft zufolge, einzig gangbaren, zukunftsfähigen Weg weitergehen und ihm etwas mehr Zeit geben? Zumal man ihn nach einer Reform der Schuldenbremse auch so gestalten kann, dass er sich im Alltag der Bürger positiv bemerkbar macht (Klimageld etc.) und nicht mehr wie eine Zukunftspolitik empfunden wird, die an den Alltagsproblemen der einfachen Menschen vorbeigeht.

Bernward Gesang



  • Herkunft und Studium: Bernward Gesang wurde am 13. Juli 1968 im sauerländischen Arnsberg geboren. Er studierte in Bonn und Münster, wo er 1994 promoviert wurde. Die Habilitation erfolgte 2000 in Düsseldorf.
  • Professor: Seit 2009 ist Gesang ordentlicher Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Universität Mannheim. Gesangs Forschungsschwerpunkte sind Normative Ethik, insbesondere Utilitarismusforschung, angewandte Ethik mit Fokus auf Wirtschaft und Klimaschutz.
  • Forschung: Sein aktueller Schwerpunkt in Forschung und Lehre ist die Frage, wie man unsere Gesellschaft in eine nachhaltige transformieren kann und wie sich eine solche Transformation ethisch rechtfertigen lässt.
  • Das aktuelle Buch: „Darf ich das oder muss ich sogar?“ Metzler Verlag. 279 Seiten, 27.99 Euro.

Unsere Gesellschaft hat sich entschlossen, auf den wissenschaftlichen Fortschritt und die wissenschaftliche Erkenntnis zu setzen. Das bestätigt jedermann zwanzigmal täglich, wenn er einen Lichtschalter betätigt: Dann erwartet er nämlich, durch einen wissenschaftlich beschreibbaren Mechanismus das Licht anzumachen. Die Frage zu stellen, ob wir der Wissenschaft hier überhaupt vertrauen können und sollen, wäre lächerlich. Unsere moderne Welt ist ohne Wissenschaft undenkbar. Wieso fordern wir sie beim Klimawandel also frontal heraus? Nur weil eine Erkenntnis unbequem ist, wird sie nicht falsch.

Notwendigkeit des grünen Wachstums erkennen

Wie man grünes Wachstum ausgestaltet, darüber kann man eventuell reden, aber dass man es braucht, ist notwendig. Man darf nicht alle Windräder niederreißen, wie Alice Weidel und mit ihr Friedrich Merz fordert, wenngleich weniger lautstark und je nach Bierzelt weniger radikal. Letztlich sollte man sich nach der besagten Notwendigkeit grünen Wachstums richten.

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