Mit guter Elternarbeit zu guten Schulnoten

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Die PISA-Vergleichsstudie zeigt: In Ländern, die bewusst auf Elternarbeit setzen, haben Schüler Leistungsvorsprünge von ganzen Schuljahren. © Andreas Arnold / dpa

Werner Sacher hat acht Jahre lang selbst als Hauptschullehrer gearbeitet, ehe er eine wissenschaftliche Laufbahn einschlug. Hauptthemen des inzwischen emeritierten Professors, der zuletzt in Nürnberg lehrte: Unterrichtstheorie, Schulleistungsdiagnostik und Bildungsforschung. Sacher hält Vorträge und Workshops und rät allen Schulen: Elternarbeit lohnt sich. Von Stefanie Ball

Werner Sacher

  • Werner Sacher (Jahrgang 1943) hat Lehramt studiert und war von 1966 bis 1974 im Schuldienst in Unter- und Mittelfranken; begleitend hat er ein Zweitstudium absolviert und promoviert.
  • 1986 hat sich Sacher habilitiert, von 1991 bis 1996 war er zunächst Professor an der Universität Augsburg; von 1996 bis 2008 Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg.
  • Sacher hat über Schul- und Bildungsgeschichte geforscht und zahlreiche Bücher publiziert; seit seiner Emeritierung ist er als freier Wissenschaftler tätig, hält Vorträge und Workshops.

Herr Sacher, dass Kinder erfolgreich in der Schule sind, wünschen sich wohl alle Eltern – aber wovon hängen gute Noten ab?

Werner Sacher: Von verschiedenen Faktoren. Ein ganz wichtiger ist das Elternhaus. Seit einem halben Jahrhundert wissen wir aus verschiedensten Studien und neuerdings auch aus PISA-Begleituntersuchungen, dass der Bildungserfolg doppelt so stark von Einflüssen der Familie abhängt wie von pädagogischen Organisationen wie Kindergärten, Kindertagesstätten, Schulen. Und das gilt nicht etwa nur für das Vor- und Grundschulalter, sondern ebenso auch noch für Fünfzehnjährige.

Genau das ist aber auch einer der Kritikpunkte der PISA-Studie – dass es in Deutschland nicht gelingt, Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten zum schulischen Erfolg zu verhelfen.

Sacher: Das Elternhaus spielt zwar eine große Rolle, das heißt aber nicht, dass pädagogische Organisationen wie Schulen keinen Einfluss hätten. Der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie hat sich vor zehn Jahren die Mühe gemacht, alle Untersuchungen, die sich mit der Frage des Bildungserfolgs auseinandergesetzt haben, zusammenzutragen und auszuwerten. Er kam zu folgendem Ergebnis: Was die Schule zum Bildungserfolg beitragen kann, hängt vor allem von den Lehrkräften ab – von ihrer Persönlichkeit und der Qualität ihres Unterrichts. Auch auf die Lehrpläne und auf die Schüler selbst kommt es an, wobei natürlich vieles von dem, was Schüler „mitbringen“ – ihre Intelligenz, ihre Motivation, ihre Konzentrationsfähigkeit und so weiter –, stark durch ihr familiäres Umfeld geprägt ist.

Eltern, Lehrer, Schüler – verantwortlich sind also alle. Was ist daraus zu schlussfolgern?

Sacher: Dass es eine enge Kooperation zwischen Erziehern, Lehrkräften und Eltern geben sollte. Und das ist leider oft nicht gegeben. Erhebungen von PISA aus dem Jahr 2018 belegen signifikante Zusammenhänge zwischen der Häufigkeit von Eltern-Lehrer-Gesprächen über die Entwicklung der Kinder und den Leistungen in allen drei Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Länder, in denen 30 Prozent mehr solcher Gespräche stattfinden, haben Leistungsvorsprünge von ganzen Schuljahren. Spitzenreiter sind hier Norwegen, Schweden und Dänemark, Deutschland landet auf Platz 39 von 78 verglichenen Ländern!

Lehrer und Eltern müssten sich also öfter zusammensetzen?

Sacher: Die Elternarbeit pauschal zu verstärken, wird allein keinen durchschlagenden Erfolg bringen. Dass die Eltern in die Schulen kommen und zum Beispiel an Festen oder Vorträgen teilnehmen oder Gespräche mit Lehrern führen, ist eine notwendige Voraussetzung. Auch dass eine vertrauensvolle Atmosphäre entwickelt wird, ist zwar notwendig, wird aber das eigentliche Ziel von Elternarbeit, nämlich die Steigerung des Bildungserfolgs der Kinder, noch nicht erreichen.

Wie sieht denn gute Elternarbeit aus?

Sacher: Erfolgreiche Elternarbeit braucht ein Konzept, mit präzisen Zielsetzungen und einer klaren Vorstellung von den Aufgaben von Elternarbeit. Wir haben vor einigen Jahren in Bayern eine Untersuchung an Schulen durchgeführt und Eltern gefragt, ob sie Kontaktmöglichkeiten genutzt haben und wie nützlich diese waren. Dabei kam heraus, dass Eltern zwar zu einem hohen Prozentsatz Termine wahrgenommen haben nach dem Motto „sonst denkt die Schule, ich interessiere mich nicht“, als wirklich nützlich wurden diese Begegnungen jedoch häufig nicht empfunden.

Wann sind Kontakte nützlich?

Sacher: Wenn beispielsweise die Kommunikation zwischen Eltern und Lehrkräften zu etwas Alltäglichem wird. Häufig nehmen Eltern und Lehrer erst dann Kontakt auf, wenn Kinder in der Schule Probleme haben oder Probleme bereiten. Das macht es nahezu unmöglich, einander noch unvoreingenommen zu begegnen. Es braucht auch einen wechselseitigen Austausch, so dass Lehrkräfte über Ereignisse zu Hause, die das Verhalten der Kinder in der Schule unter Umständen erklären können, informiert werden. Wichtig sind eine professionelle Gesprächsführung, Freundlichkeit, die Möglichkeit, sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, sowie wirkliches Zuhören, wobei Lehrer, Vertreter der Schulleitung, aber auch Elternvertreter schnell und unkompliziert erreichbar sein sollten.

Aber ist es nicht oft so, dass Eltern als Störfaktor empfunden werden?

Sacher: Eltern, die sich ständig einmischen, die alles besser wissen, aggressiv reagieren, sind ein großes Thema und für Lehrer eine Herausforderung. Aber auch Eltern, die sich nicht einbringen, stellen eine Herausforderung dar, sogar eine größere. Denn diese Eltern sind für die Schulen nur schwer bis gar nicht mehr erreichbar. Die schwierigen Eltern nerven zwar, aber die kämpfen wenigstens noch für ihre Kinder. An die anderen kommen die Lehrer gar nicht mehr ran, die haben schon resigniert.

Warum haben sie resigniert oder wollen keinen Kontakt?

Sacher: Lehrkräfte bezeichnen solche Eltern oft als „schwer erreichbar.“ Damit wird unterstellt, man habe versucht, sie zu erreichen und auf sie zuzugehen. In Wirklichkeit sind sie meistens Einladungen nicht gefolgt und nicht gekommen. Wenn Lehrkräfte sie wirklich erreichen wollen, müssen sie mehr tun als Einladungen verschicken – Eltern anrufen, ihnen einen persönlichen Brief oder eine E-Mail schreiben oder sich auf den Weg machen und der Familie einen Hausbesuch abstatten. Letztlich sind alle Eltern erreichbar, der Aufwand ist nur unterschiedlich groß – und manchmal ist er wohl auch Lehrkräften nicht zumutbar.

Dürfte der Zeitaufwand, den gute Elternarbeit in jedem Fall bedeutet, viele Lehrer nicht abschrecken?

Sacher: Die zeitliche Belastung von Lehrkräften ist in der Tat hoch, und im besten Fall müsste es für eine Optimierung von Elternarbeit Entlastungsstunden geben.

Die Einstellung von mehr Lehrern dürfte aber wohl eher unwahrscheinlich sein!

Sacher: Das größere Problem liegt wohl eher im fehlenden Bewusstsein, dass Elternarbeit wichtig ist und sich lohnt. Es gibt viele Ängste und Vorbehalte. Tatsächlich ist es aber so, dass an Schulen, die den Aufwand einige Zeit ausgehalten haben, die Mehrbelastung von einem bestimmten Punkt an in eine Entlastung umgeschlagen ist. Weil manche Probleme und manche Schwierigkeiten, etwa mit Schülern, plötzlich verschwanden oder zumindest geringer wurden.

Was ist mit den Eltern? Welchen Beitrag müssen die leisten?

Sacher: Eltern sollten eine hohe Erwartungshaltung an ihre Kinder herantragen. Nicht im Sinne einer Drohung, sondern in Form eines elterlichen Vertrauens auf das Können der Kinder. Wichtig sind außerdem feste Strukturen und feste Zeiten, für Hausaufgaben, Computerspiele, Fernsehen. Kinder sollten auch Pflichten im Haushalt übernehmen, und Eltern sollten mit ihren Kindern Gespräche führen. Nicht nur über die Schule, sondern über Allerweltthemen. Auch da hat die PISA-Studie gezeigt, dass es Leistungssprünge gibt, wenn sich Kinder und Eltern einmal am Tag zusammensetzen und über Gott und die Welt reden.

Können das alle Familien leisten?

Sacher: Es ist heutzutage sicherlich schwieriger geworden, vor allem, wenn beide Eltern arbeiten, es ist aber nicht unmöglich. Es muss ja keine gemeinsame Mahlzeit sein, bei der solche Gespräche stattfinden, man kann sich auch bei anderen Gelegenheiten zusammensetzen.

Was ist mit den Hauptpersonen, um die es hier geht, den Schülern?

Sacher: Die müssen unbedingt eingebunden werden. Eine Möglichkeit besteht zum Beispiel darin, statt der üblichen Eltern-Lehrer-Gespräche Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche zu führen, die dann in Vereinbarungen münden, in denen Verpflichtungen für alle drei Seiten festgelegt werden. Oder es könnten gemeinsame Veranstaltungen wie Exkursionen oder Projektarbeiten organisiert werden, um so Situationen zu schaffen, in denen Lehrkräfte, Eltern und Schüler Gelegenheiten haben, die Sichtweisen der anderen Gruppen kennenzulernen. Elternarbeit könnte als Unterrichtsthema behandelt, und Kinder könnten als Informationsübermittler für schulische Belange eingesetzt werden. Passiert dies nicht, werden die Kinder außen vorgelassen, kann verstärkte Elternarbeit ablehnende Gegenreaktionen bei ihnen auslösen.

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