Die Baustelle an der Stelle, an der sich die Weschnitz teilt, um dann unter den Bahnschienen zunächst auf Freudenberg-Gelände dann weiter in Richtung Westen in zwei Armen zu fließen, liegt – Corona zum Trotz – vollständig im Plan. Im Moment bricht der Bagger die zweite Brücke ab, die nördliche. In etwa zwei Wochen kann es an den Aufbau des neuen Brückenbauwerks gehen. Wie auch bereits beim ersten „Zwilling“ wird der Brückenüberbau in sechs Einzelteilen, die derzeit im Werk gefertigt werden, zur Baustelle gebracht, um dann wieder über einen Schwerlast-Autokran einzuschweben und vor Ort montiert zu werden. Das wird also im wahrsten Sinne des Wortes wieder eine „schwere Geburt“. Udo Wolf und Christian Wind ist noch gut die Montage der südlichen Brücke in Erinnerung. Die tonnenschweren Teile schwebten damals passgenau in die Lücken.
Wolf, Leiter des Weinheimer Tiefbauamtes, und sein Mitarbeiter Wind sind beide Tiefbauingenieure. Sie haben in ihrem Leben schon ein paar Baggerfahrer kennengelernt, denn dort wo sie planen und bauen, geht es immer in die Tiefe. Der Mann, der an den Hebeln des Baggers sitzt, der derzeit Zentimeter um Zentimeter die zweite der beiden Zwillingsbrücken über die Weschnitz nördlich des Hauptbahnhofs abknabbert, ruft bei ihnen aber doch eine Spur Bewunderung hervor. Der Baggerführer beherrscht sein schweres Gerät wie ein filigranes Musikinstrument; manchmal kann er Kabel aus Schutt herausziehen wie ein Streichholz aus einer Schachtel.
Auch die beiden Ingenieure fragten sich, in welcher Historie die Zweiteilung der Weschnitz an dieser Stelle herrührt. Diese Aufsplittung schafft eine Insel, die Gebäude und Betriebsanlagen trägt, die wiederum bei den Bauarbeiten berücksichtigt werden müssen. Die Zwillingsbrücke ist außerdem eine Art Drehscheibe von Versorgungsleitungen in alle Himmelsrichtungen; die Kabel und Rohre müssen wegen der Bauzeit alle provisorisch verlegt werden, um später wieder ihren dauerhaften Platz zu finden. Alles in allem also eine knifflige Ingenieursaufgabe.
Aber woher kommt diese Weschnitz-Teilung? Ein Blick ins Weinheimer Stadtarchiv ergibt Überraschendes: Die Teilung des Flusses hat weder etwas mit der Industrialisierung der Firma Freudenberg noch etwas mit der Bewässerung der Felder im Weinheimer Nordwesten zu tun. In der Tat schon im 16. Jahrhundert ließ Pfalzgraf Kurfürst Ludwig (der auch Erbauer des Weinheimer Schlosses war) die Weschnitz teilen, „um alles übermäßige Wasser aus dem Odenwald und Gebirge von den drei Sachsen, Weinheim und Viernheim her, auf Lorsch zu in den Rhein zu leiten“. Es war also die vielleicht erste groß angelegte Hochwasserschutzmaßnahme Weinheims. Heute macht die fast 500 Jahre alte Teilung den Brückenbau zur doppelten Aufgabe.
Wichtige Umleitung
Die aktuellen Brücken stammen aus dem Jahr 1926 und sind teilweise wie die Weschnitz-Mauer mit Sandstein verblendet. Die neue Jahreszahl 2020 ist bereits im Beton der neuen Brücken eingraviert, auch die Sandsteinverblendung der Uferwand soll teilweise wieder hergestellt werden.
Die Arbeiten an der „Zwillingsbrücke“ sind auch wegen der Nähe der Bahnschienen mitunter kompliziert. Zum Beispiel darf der Kran nicht über die Bahnschienen schwenken; ein Versorgungsmast der Bahn liegt mitten in der Baustelle. Auf beiden Brücken wird künftig Autoverkehr fließen; daher weist sie eine 6,50 Meter breite Fahrbahn und Gehwege auf. Im November soll sie in beiden Richtungen wieder komplett befahrbar sein. Die Sanierung der „Zwillingsbrücke“ ist auch deshalb wichtig, weil sie im Falle einer Sperrung der B 3 die einzige Umleitungsstrecke wäre. red