Ein Mann sitzt mit einem Pott gutem Doppelbock in der Mermaid Tavern, seinem Londoner Stammlokal. Er betrachtet die Händler, die Geldverleiher und Goldschmiede, die Reisenden und die feinen Damen und Herren auf der Cheapside. Es ist William Shakespeare, der Sohn eines Handschuhmachers aus Stratford, der es als Dichter und Dramatiker zu Ruhm gebracht hat. Ansprechen dürfen wir ihn nicht. Aber uns zu ihm setzen, ihn aus nächster Nähe beobachten, hören, was er sagt, sehen, was er tut, ohne dass er uns bemerkt? Das alles können wir, sofern wir in Ian Mortimers Zeitmaschine steigen und mit ihr in Englands elisabethanisches Zeitalter reisen, auch als das „Goldene“ bekannt.
Die Zeitmaschine heißt „Shakespeares Welt“, hat 496 Seiten sowie 37 farbige Abbildungen und ist im Münchner Piper-Verlag auf Deutsch erschienen. Endlich, möchte man sagen. Denn als das Buch vor acht Jahren unter dem Titel „The Time Traveller’s Guide to Elizabethan England“ in London auf den Markt kam, gab es viel Lob. Dem 1967 geborenen Historiker Ian Mortimer sei ein „lebendiges und höchst unterhaltsames“ Buch gelungen, bescheinigte ihm sein Kollege Thomas Penn. Mit das Beste sei Mortimers Art des Erzählens von Anekdoten.
Ironische Pointen
Etwa diese um Shakespeares Schlagfertigkeit und seinen Sinn für ironische Pointen: Im März 1602 ist eine Theaterbesucherin so hingerissen von Schauspieler Richard Burbage in „Die Tragödie von Richard III.“, dass sie ihn um ein romantisches Stelldichein auf ihr Zimmer bittet. Shakespeare hört das zufällig – und erscheint vor der verabredeten Zeit bei der Dame. Als Burbage dann an die Tür klopft und verkündet, der König sei da, antwortet Shakespeare von drinnen: Zu spät, Wilhelm der Eroberer sei Richard III. zuvorgekommen.
Mortimer ermöglicht uns, das England von Königin Elizabeth I. und damit auch von Shakespeare so aus der Nähe zu betrachten, „als ob man wirklich mit den Menschen dort leben würde“. Shakespeares London mit den Augen von Zeitzeugen: Darunter nicht nur Theater wie das Globe, Märkte, Kirchen und Paläste, oder die Mermaid Tavern, sondern auch Tyburn, der Ort Platz mit dem Galgen, an dem Diebe aufgehängt werden. Oder das Great Stone Gate am Tower mit den aufgespießten Köpfen von Verrätern als Warnung für alle, die es wagen, sich gegen die Monarchin zu stellen.
Und natürlich immer wieder die Pest. Jeder Dritte geht damals mindestens einmal im Monat ins Theater, aber nur, wenn die nicht gerade von Behörden wegen der Seuche geschlossen werden, wie 1581/1582, 1592/1593 und 1603/1604. Dennoch entsteht unter Elizabeth I. jene Schauspielkultur, die noch in der Moderne Bedeutung hat: „Anders als ihre Vorgänger erforschen die spätelisabethanischen Dramatiker begeistert die conditio humana“, berichtet Mortimer.
Präzise recherchierte Daten
Zum Leben gehört damals ein weit verbreiteter Geisterglaube – reflektiert auch in Shakespeares „Hamlet“ und „Macbeth“. Fremdenhass und Rassismus sind weit verbreitet. „Erst mit Othello schafft Shakespeare 1604 ein sympathisches Porträt eines schwarzen Charakters.“ Und Frauen dürfen von ihren Ehemännern straflos geschlagen werden, was viele wohl sogar schon wegen einer kleinen Meinungsverschiedenheit tun. In einer solchen Zeit vollendet Shakespeare 25 Stücke – darunter „Romeo und Julia“, „Ein Sommernachtstraum“, „Der Kaufmann von Venedig“ und „Hamlet“.
Mortimers Fazit: „Es ist ein mit Edelsteinen besetztes, vor Schlamm strotzendes Reich, funkelnd und hungernd, gleichermaßen hoffnungsvoll und angsterfüllt – immer am Rande wunderbarer Entdeckungen und brutaler Rebellionen und immer sorgsam bedacht auf die Schönheit, Macht und Gefahr, die Worte in sich bergen.“ Der Autor führt uns dieses Reich anschaulich vor Augen. Mit genau recherchierten Details, die er sehr unterhaltsam zu einem großen, hochinteressantem Sittenbild zusammenfügt. dpa